Samstag, 25. Oktober 2014

Georg Büchners Pietro Aretino auf der Büchner-Bühne in Riedstadt-Leeheim

Wie jeder, der mich kennt, weiß, bin ich ein großer Fan von Georg Büchner und befasse mich nicht zuletzt deshalb auch ausführlich innerhalb meines Literaturstudiums mit ihm.
Auch journalistisch habe ich mich mit ihm schon auseinandergesetzt: Büchner-Abend in Darmstadt

In den Büchner-Jahren habe ich viele Veranstaltungen rund um ihn besucht. Ich kenne alle in Hessen, die sich in Bibliotheken, Ausstellungen und in Archiven mit ihm befassen - bis hin zu Prof. Dr. Burghard Dedner, der Mitherausgeber der Historisch-Kritischen Marburger Büchner-Ausgabe ist und den ich im oben stehenden Artikel auch erwähnt habe. Mit Dr. Peter Engels, Leiter des Stadtarchivs Darmstadt, habe ich auch schon einen literarischen Spaziergang rund um Georg Büchner in Darmstadt gemacht und für den SWR einen Beitrag produziert: „Am 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg ...“: Georg Büchner und seine Heimatstadt: http://www.radio.kit.edu/593.php.

Büchner-Biograph und Pietro Aretino in Riedstadt-Leeheim

Am 17.10. gab es aber etwas ganz Besonderes auf der Büchner-Bühne in Riedstadt-Leeheim, in der Nähe des Büchner'schen Geburtshauses in Goddelau, zu sehen. Die dortigen Schauspieler führten "Pietro Aretino", das verschwundene Stück Büchners, um dessen Existenz sich Legenden ragen, wie mir einer der Büchner-Experten, Peter Brunner, erzählte, auf.
Eine Kritik meines mir hochverehrten Feuilleton-Chef des Darmstädter Echos über das gesamte Stück finden Sie unter diesem Link: Büchner-Kritik von Johannes Breckner
Ich habe natürlich auch fleißig mitgeschrieben, zugehört und zugeschaut. Richtig ehrfürchtig war mir zumute, als ich endlich Büchners Biographen, Jan-Christoph Hauschild, begegnete.

Mir fielen beim Stück, das Hauschild über viele Jahre hinweg aus bisherigen Erkenntnissen heraus entwickelte, vor allem Ähnlichkeiten des Stücks mit Woyzecks Konflikt zwischen Moral und Demoral, die Ablösung von der Orientierung am göttlichen Weltbild sowie die gleiche Parodie - unvergessen von der eindrücklichen Sprache Büchners - auf. Hauschild bestätigte mir meinen Eindruck teilweise, aber natürlich sollte ich ihn nicht nach der Autor-Intention und -meinung fragen (ein sehr umstrittenes Thema in der Literaturwissenschaft). Aber ja, die Woyzeck und Andres-Szene am Ende des Woyzeck habe er tatsächlich in dieses Stück hinein übernommen.

Meine Gedanken hierzu...

Finn Hanssen, der den Aretino spielte, sagte nach dem Schauspiel, die Figur sei für ihn herausfordernd gewesen, weil Büchners Stücke ebenso sprachgewaltig seien und damit neben der Leistung des körperlichen Ausdrucks und der Mimik beim Schauspiel selbst noch einmal eine zusätzliche Aufgabe ausmachten.
Auf die Sprache und auf Georg Büchner!

Weitere Informationen über die Büchner-Bühne gibt es hier: Büchner-Bühne.
Die nächsten Aufführungen werden am Freitag,  31.10., Samstag, 8.11., und Sonntag, 23.11.2014, stattfinden.

Neueste Radio-Beiträge


-  Radio KIT Business Club: http://www.radio.kit.edu/

- Die Roboter, die wir rufen - Wissenschaftler debattieren unsere
Vorstellungen vom Roboter der Zukunft: http://www.radio.kit.edu/683.php

- Wenn’s brennt, Handy einschalten! KIT Gründer entwickeln Feuerwehr App: http://www.radio.kit.edu/679.php

- Messen und Durchatmen - Feinstaubanalyse per Smartphone:
http://www.radio.kit.edu/664.php

- Seelisches Gleichgewicht auf dem Wasser - Kajakfahren für Krebspatienten:
http://www.radio.kit.edu/662.php

- Bewerbung per Buch - Was taugen Absolventenbücher?:
http://www.radio.kit.edu/657.php

- Gründe Dein Glück! - KIT Venture Fest im Gerthsenhörsaal:
http://www.radio.kit.edu/647.php

Gewaltfreiheit - auch als Lösung für weltweite Konflikte?

Schon seitdem ich 2007 begonnen hatte, in Darmstadt-Dieburg Online-Journalismus zu studieren, hatte ich Kontakt zur Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) - eine Einrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Ich habe dort schon die Webseite gestaltet oder die Facebook-Gruppe gegründet. Schon lange gestalte ich die Semesterbegrüßungs-, -abschieds oder Weihnachtsgottesdienste mit. Schon einmal haben Pfarrerin Gabriele Zander und ich gemeinsam eine Dialogpredigt gestaltet. Dieses Mal auch wieder - mit einem brandaktuellen Thema: "Wie begegnen wir den Gewalt- und Straftaten der IS als Volk, als Gemeinschaft und als Anhänger unterschiedlicher Religionen?" Aus dieser gesellschaftlichen Sicht habe ich als Kulturjournalistin argumentiert. Pfarrerin Zander hat sich darüber hinaus mit Gewaltfreiheit im biblischen Kontext (2. Samuel 24) beschäftigt.
Die Ergebnisse unseres Dialogs sowie den Dialog in voller Länge finden Sie hier:

Jennifer: Gaby, jetzt bin ich schon so lange Journalistin, aber selten erschien mir die Weltlage so verzwickt und einem dritten Weltkrieg so nahe. (Dabei habe ich gerade gestern in der Bibel von Davids Geschichte gelesen.) Wenn ich jetzt die Geschichte von David höre, der zuerst Saul umbringen will,  um an sein Königreich zu kommen und sich dann doch für Gewaltfreiheit entscheidet. Das ging vielleicht vor 2000 Jahren, aber geht das heute noch so?

Gabriele Zander: Erstmal finde ich es wichtig, sich nochmal zu vergewissern, worum es in dieser biblischen Geschichte eigentlich geht,, bevor wir zu schnell den Bogen zu uns heute schlagen. Im Gegenüber von Saul und David geht es ja letztendlich um den Konflikt zwischen der Ausübung menschlicher Macht und dem Vertrauen auf Gottes Willen und Geboten. Saul wurde zum König gesalbt, weil das Volk glaubte, endlich einen König zu brauchen, so wie die anderen Völker, um bestehen zu können. Saul ist dann schnell zum rücksichtslosen Machtpolitiker geworden, der seinen eigenen Vorteil und Machtausbau über die Gebote Gottes gestellt hat. Er hat eine rücksichtslose Kriegsführung betrieben, hat ökonomische Vorteile über soziale Gebote gestellt- auch alles Dinge, die wir heute gut kennen. Die Bibel erzählt dann, wie Gott sich von Saul abgewandt hat und sich David zum neuen König erwählt hat- zunächst bleibt Saul aber im Amt und über viele, viele Kapitel wird in der Bibel über die Konkurrenz zwischen Saul und David erzählt. Eine bekannte Geschichte dazu ist ja dann auch die von David und Goliath- eine der bekanntesten Geschichten der Bibel, wie der kleine Hirtenjunge David mit seiner Steinschleuder den hochgerüsteten Riesen der Philister, Goliath erschlägt. Auch nicht gerade eine Geschichte völliger Gewaltfreiheit, aber doch eine Geschichte, die das Prinzip hochgerüsteter Heeresmacht, der Philister, in Frage stellt durch die Idee, ein kleiner beweglicher Hirtenjunge könnte mit seiner Steinschleuder ein solches Heer besiegen. Es geht sozusagen um den Sieg der kleinen Leute, die mit ihrer Kreativität und Beweglichkeit etwas erreichen können, gegen eine hochgerüstete Macht der Herrschenden.
Und noch eindrücklicher finde ich eben da die jetzt gehörte Geschichte. Da hat sich der Konflikt zwischen Saul und David schon sehr zugespitzt. Saul will unbedingt seine Macht behalten und verfolgt David und beschließt ihn zu töten, um eben selbst König bleiben zu können. Und wieder haben wir hier ein Motiv, ähnlich wie bei David und Goliath: Saul hat 3000 auserlesene Männer, David hat ein paar Männer, eine Zahl wird nicht angegeben, aber er ist auf alle Fälle zahlenmäßig sehr unterlegen. Und dann haben wir tatsächlich einen beeindruckenden gewaltfreien Akt: Saul begibt sich in eine Falle und David hätte eine gute Gelegenheit, ihn zu töten, wie es seine Männer ihm auch nahe legen, aber stattdessen schneidet er ihm nur einen Zipfel seines Gewandes ab, um sich nachher vor ihm niederzuwerfen, und ihm zu zeigen, dass er Saul keineswegs töten will, sondern alles in die Hand Gottes legen will. Und das finde ich wirklich beeindruckend, dass David sich hier für die Gewaltfreiheit entscheidet- trotz aller Angst, die er vor Saul haben muss. Hätte er Saul getötet, hätte er eine schnelle Lösung seines Problems gehabt: Saul wäre keine Bedrohung mehr gewesen, und er wäre der neuen König. Aber David legt den weiteren Verlauf der Geschichte in die Hand Gottes. Er möchte den König Saul, der ja eben auch mal vom Propheten gesalbt war, nicht töten.

Jennifer: Gewaltfreiheit, ist das heute noch möglich, gerade, was die IS anbelangt?
Gabriele Zander: Ich denke, dass die Bibel sehr realistisch ist- deswegen mag ich dieses Buch auch so sehr. Zwar haben wir hier eine wunderschöne Geschichte der Gewaltfreiheit und auch die gehörten Seligpreisungen sind ein Hymnus der Gewaltfreiheit, aber die Bibel weiß auch, dass man damit keine Geschichte machen kann, dass das eben nicht der Realität unseres Lebens entspricht. So hat ja David den Goliath doch getötet, wenn auch nur mit einer Steinschleuder und auch später bleibt David ja eine sehr schillernde Gestalt mit vielen Fehlern.
In der Zeit des Nationalsozialismus gab es ja in der Kirche eine Diskussion, ob es denkbar wäre, einen Diktator wie Hitler umzubringen. Und ich denke doch, dass diejenigen, die im Widerstand waren und versucht haben, Hitler umzubringen, den richtigen Weg gewählt haben. Manchmal kann es besser sein, einen oder wenige Menschen zu töten, um ein noch größeres Blutvergießen zu verhindern. Allerdings sollte ein Waffengang immer die letzte Möglichkeit, die ultima ratio bleiben.
Jennifer: Tyrannenmord, okay. Bei der IS ist das aber doch ein anderes Prinzip: den Gegner mit Waffen ausstatten. Wenn die türkische Regierung aber die Kurden mit Waffen ausstattet, ist es dann nicht wahrscheinlich, dass die Kurden dann auf die Türken losgehen?

Gabriele Zander: Ich bin nicht sicher, ob das passieren würde. Aber da der Konflikt zwischen den Kurden und der Türkei schon sehr alt ist, ist klar, dass die Türkei jetzt schwer auf einmal umschwenken und die Kurden unterstützen. Allerdings: hätten sie schon einen Friedensvertrag mit den Kurden und würden sie mit den Kurden in ihrem Land ganz anders umgehen: nämlich als gleichberechtigte und akzeptierte Staatsbürger und gäbe es schon längst einen kurdischen Staat, dann wäre die Unterstützung der gegen den IS kämpfenden Kurden wohl verständlich gewesen. Das Problem, weshalb es zu bewaffneten Konflikten kommt und man am Ende oft nur noch zwischen zwei Übeln wählen kann, ist ja, dass man Konflikten und Problemen zu lange zusieht, sie sozusagen auflaufen lässt, bis sie eben explodieren. Das sehe ich im Fall von IS genauso. Mit dem Einmarsch der Amerikaner in den Irak vor mehr als 10 Jahren wurden die damaligen sunnitischen Machteliten entmachtet und marginalisiert. Da haben sie sich neu aufgestellt und radikalisiert. Das Ergebnis haben wir jetzt im IS. Schon früh hätte man alle gesellschaftlichen Kräfte im Irak beim Bau einer neuen Gesellschaft mit einbeziehen müssen und viel mehr in die Stärkung der Zivilgesellschaft investieren als in die Unterstützung einer neuen Machtelite.

Jennifer: Was mir immer wieder auffällt und Sorgen macht: Egal, ob es konkret um die Waffenlieferungen geht oder um ökonomische Vorteile, es geht immer um politische oder wirtschaftliche Machtinteressen. Liefern wir Waffen an IS-Gegner und Länder, die bei uns wirtschaftlich investieren, ist die Frage: Unterstützen wir die, die töten oder die, die sich verteidigen wollen? Nehmen wir moralische Mitschuld in Kauf, wenn wir dafür nicht auf ökonomische Vorteile verzichten müssen? Ist es nicht heuchlerisch, wenn Merkel den Emir von Katarh einlädt und ihm schlichtweg abnimmt, dass er die IS nicht unterstützt? Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass sie bei einem Ja auf seine Investitionen verzichtet und sich von ihm abgewandt hätte.

Gabriele Zander: Ja, das gleiche könnte man ja jetzt auch beim Besuch des chinesischen Staatspräsidenten sagen. Immer stehen die wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund. Dass die Protestierenden in Hongkong sich gleichzeitig vor einem gewaltsamen Eingriff der chinesischen Armee fürchten müssen, dass ein chinesischer Friedensnobelpreisträger und viele andere Kritiker dieser Regierung im Gefängnis sitzen, von Tibet ganz zu schweigen- da wird dann vielleicht mal leise ein Unbehagen geäußert, aber die wirtschaftlichen Interessen stehen eindeutig im Vordergrund. Das ist etwas, was die Bibel schon sehr eindeutig kritisiert: Saul fällt ja in Ungnade, weil er aus seinen Eroberungen ökonomischen Gewinn zieht. Die Bibel ist ein Buch, das immer wieder auf soziale Gerechtigkeit zielt. Der Blick auf die Armen, der Ruf nach Gerechtigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel: sei es in den Geboten, eben hier in der Davidsgeschichte, bei den Propheten, in den Psalmen und eben in der Geschichte Jesu, der mit den Fischern aus Galiläa unterwegs war- ein mittelloser Wanderprediger seiner Zeit, der ebenfalls die Herrschenden stark kritisierte.

Jennifer:
Wenn wir die Situation heute und die Dauer des gesamten Irakkriegs vergleichen, dann ist es doch so, dass es jetzt nicht mehr fernab von uns stattfindet, sondern direkt neben uns und vor unserer Haustür. Die Rückkehrer, die dann plötzlich in Frankfurt vor Gericht stehen, haben ja nicht nur ein Verbrechen begangen, sie verändern ja auch uns, weil wir immer mehr in Angst leben.

Gabriele Zander: Ja, allerdings war Angst schon immer ein schlechter Ratgeber. Ich denke, dass man das Problem junger Muslime, die sich radikalisieren, sehr offensiv und eben gewaltfrei angehen muss. Am Wochenende habe ich über die große Hilflosigkeit von Eltern, Freunden und Schulen gelesen im Umgang mit jungen Menschen, die Sympathie mit Terrororganisationen äußern. Zum Beispiel ist ein Schulverweis, wie es sehr oft vorkommt, eine sehr schlechte Antwort, da sie die jungen Sympathisanten ausschließt, statt zu versuchen, sie in unsere Gesellschaft hineinzubekommen. Und der Islam als Ganzer darf schon gar nicht verurteilt werden, wie es ja auch oft geschieht, denn die Sympathie für den Islamismus kommt ja oft aus einem Unwissen über die eigene Religion, den Islam. Da bräuchte man viel mehr Muslime, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter und andere, die sich in Moscheegemeinden engagieren, die solchen Leuten, die sich zu radikalem Gedankengut hingezogen fühlen, einen anderen Islam erklären: einen Islam, der Frieden und das Wohlergehen der Menschen will und  die ihnen eben deutlich machen, wie gefährlich islamischer Terrorismus ist und dass der nicht die einzige Spielart des Islam ist. Aber leider fühlen sich eben viele Muslime noch immer nicht als gleichwertig in dieser Gesellschaft anerkannt, wird der Islam insgesamt misstrauisch beäugt, was eben dann eine Radikalisierung zur Folge haben kann.  

Jennifer: Es ist diese Perspektivenlosigkeit, die ja selbst uns Absolventen akademischer Studiengänge heute beherrschen kann und mich persönlich gerade für ein Land wie Deutschland traurig macht. Menschen mit Migrationshintergrund haben weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt viele Hürden, die sie bewältigen müssen. Das fängt schon beim Sprachkurs an, den viele nicht bezahlen können.

Gabriele Zander: Ja, da gäbe es viele Möglichkeiten, um präventiv einer Radikalisierung, einem Weg der Gewalt vorzubeugen: indem Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund mit Offenheit und Interesse begegnet wird. Indem nicht eine völlige Anpassung an die eigene Religion und die eigenen westlichen Werte gefordert wird, sondern man auch mal bereit ist, Anfragen ernst zu nehmen, ein Interesse an der anderen Religion und Kultur zu entwickeln, denn da gibt es ja auch durchaus positive Werte, aus denen ich etwas lernen kann: z.B. die Gastfreundschaft, der Familienzusammenhalt, vieles, was im Koran steht, finden wir auch in der Bibel. Man muss eben nur bereit sein, sich auf Augenhöhe zu begegnen und den anderen in seiner Andersheit, auch mit seiner anderen Religion ernst zu nehmen und als Menschen wertzuschätzen.

Jennifer: Ja, das finde ich einleuchtend. Zurück zu uns. Wir haben gute und böse Seiten als Menschen. Das hat schon Sigmund Freud festgestellt. Selbst anhand der Sprache merkt man das. Es gibt das Sprichwort "Ich bring Dich um, wenn Du das und das tust", mir zum Beispiel nicht aus dem Weg gehst, wenn ich auch nur aufräumen möchte. Wenn ich mir denke, dass ich das manchmal einfach so salopp sage, kriege ich Angst vor mir selbst. Was kann ich tun, um auch bei so kleinen Dingen mehr meine gute als meine schlechte Seite zu zeigen?

Gabriele Zander: Ja, das ist so eine Sache mit unseren Aggressionen, mit unserem Vernichtungswillen, mit dem, was Siegmund Freud den Todestrieb nannte, den wir ja alle in uns tragen. Ich denke, es ist wichtig, sich da nicht in die Tasche zu lügen und so zu tun, als ob man solche Aggressionen und Vernichtungswünsche nicht kenne. Aber auf dem Weg zur Gewaltfreiheit kommt es darauf an, diese Aggressionen zu kanalisieren. Ich selbst bin zwar kein großer Fußballfan, aber ich denke trotzdem, dass gerade der Fußball da eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft erfüllt. Da geht es ja eben um Kampf: man identifiziert sich mit einem Verein und kämpft um den Sieg. Da kann es ruhig schon mal aggressiv zugehen, sowohl auf dem Feld, als auch im Publikum, aber immerhin wird der Kampftrieb kanalisiert und kann auf diese Weise ausgelebt werden.

Jennifer: Ja, Sport ist gut. Ich gehe, wie Du ja weißt, ja gern ins Fitnessstudio. Wenn ich mir aber die Männer als ansehe, mit welchem wutverzerrten Gesicht sie ihre Hanteln und Geräte schwingen, dann kommen Mordszenen aus Krimis vor mein geistiges Auge. Sport scheint Aggression abzubauen. Aber fehlt da nicht noch vielleicht etwas? Sowas wie Seelsorge - Gespräche oder einfache Gespräche?

Gabriele Zander: Ja, über die eigenen negativen Gefühle reden, sie sich eingestehen, ist sicher eine wichtige Hilfe. Wichtig finde ich auch, eine Sensibilität für unsere Sprache zu entwickeln. Da haben wir leider immer noch viel zu viele Kriegsvokabeln oder Ausdrücke aus der NS-Zeit: ZB „Ich habe heute meinen Großkampftag“ oder jemand steht an vorderster Front oder man führt Grabenkämpfe, oder jemand steht Gewehr bei Fuß oder gerät unter Beschuss oder man rüstet sich gegen etwas oder torpediert etwas. Da ist die Sprache leider nicht unschuldig und trägt zur Kampfatmosphäre in unserem Alltag bei. Da würde ich mir wirklich wünschen, dass wir sensibler werden und eine andere Sprache benutzen, da die Sprache ja eine Haltung befördert und Atmosphäre schafft. Und da müssen wir manchmal echt bewusst gegensteuern und andere Einstellungen in uns kultivieren. Das wäre dann auch wieder meine kritische Anfrage an die Fußballkultur, denn auch hier findet sich ja viel Kampf- und Kriegssprache, Ob das wirklich so  sein muss, frage ich mich manchmal.
Wichtig finde ich, dass wir den vielen Aggressionen im Alltag, denen wir ausgesetzt sind und die wir auch in uns selber tragen, positive Gefühle und Gedanken der Wertschätzung des Lebens, der Lebensfreude entgegensetzen. Vielleicht hast Du da ein paar Empfehlungen, wie man das machen kann?

Jennifer: Na, das, was wir auch nachher tun: Miteinander Essen, ins Gespräch kommen, mehr über die jeweils andere Kultur erfahren. Einander zuhören. In Ruhe Zeit miteinander verbringen. Das entspannt.

Gabriele Zander: Ja, und wichtig finde ich auch, dass wir uns unseres Glaubens und der wunderbaren Texte und Bilder unseres Glaubens vergewissern: z.B. eben der gehörten Seligpreisungen oder des Bildes von David, der Saul nur den Zipfel von seinem Gewand abschneidet. Dahin zu kommen, im Alltag nach diesen Vorbildern zu leben, diese Texte in uns lebendig zu halten und sie als Kraftquelle zu nutzen für unseren Alltag, um Menschen in Offenheit und Zugewandtheit zu begegnen, das wäre schon ein Schritt auf dem Weg zu einer Welt mit weniger Gewalt.