Mittwoch, 2. Dezember 2009

Ein abschließender Nachruf an Enke

Ein Weichei aus Sicht der Gesellschaft? – Nein, ein Anlass um endlich zu handeln!
Fußballnationalspieler Robert Enke ist tot – durch Suizid. Das Medienspektakel um seinen Tod ist umso schlimmer. Die Ursache: Depressionen. Sie sind eine schwere Krankheit, die leider von der Gesellschaft totgeschwiegen wird. Bei Depressionen sei man ein Weichei, teilte Christoph Daum Spiegel Online mit. Und genauso ein „Weichei“ wollte Enke nie sein.

Enke war ein erfolgreicher Torhüter. Er war aber auch ein Familienmensch. Schon immer ein bisschen anfällig für Depressionen und dennoch einigermaßen stabil mit seiner Frau an seiner Seite. Die Familie gab ihm Halt. Dann starb seine Tochter, er scheiterte in Istanbul als Torhüter. Er spielte weiter Fußball. Es war nicht leicht für sein Selbstwertgefühl als depressiv veranlagten Menschen, als Fans ihn wie seinerzeit in Istanbul beschimpften und mit Gegenständen bewarfen. Und die Frage bei den ganzen Beileidsbekundungen momentan ist: Warum habt ihr Euch nicht früher um Enke gesorgt? Die Antwort, es sei seine Privatangelegenheit gewesen, ist im Medienzeitalter obsolet. Skandale und Liebesgeschichten sind Futter für die skandalhungrige Mediengesellschaft. Interessiert diese aber das Leid – und wenn, nicht erst zum Schluss?!

Nicht nur im Sport, wo der Stärkere und Bessere gewinnt, darf der Mensch nicht mehr schwach sein. Alles muss perfekt funktionieren, alles gleichzeitig erledigt werden. In Windeseile müssen Job, Ausbildung oder Studium gemeistert werden, dazu kommt die Familie. Irgendwo stehen dann auch noch die Bedürfnisse des Menschen selbst. Zeit bleibt wenig und erst recht nicht dafür, Leid zu verarbeiten.

Arbeit ist das äußere Zeichen dafür, dass wir alle nur noch durch unsere äußerlich sichtbar erbrachten Leistungen auffallen. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, aufeinander zuzugehen. Menschen müssen wieder hinter die Fassade blicken und helfen, dann, wenn es nötig ist! Anerkennung darf nicht nur aufgrund von Leistung geschehen, der Mensch selbst muss mit allen seinen Ängsten und Sorgen im Mittelpunkt stehen. Es darf kein gesellschaftliches Tabu mehr sein, sich schwach zu fühlen oder es zu sein!

Nicht nur Robert Enke gehört zu denen, die die Ärgernisse der Gesellschaft nicht mehr ertragen. Jeden Tag bringen sich viele Menschen um, darüber täuscht das Medienspektakel hinweg. Hoffen wir, dass Enkes Fall den Menschen die Augen öffnet und die Gesellschaft Depressionen nicht mehr ignoriert – sondern sie akzeptiert und ihnen vorbeugt!

Ja, Integration kann gelingen!

Alex. W tötet eine Türkin - Das Motiv: Rassismus. Nicht immer müssen solche Greueltaten ein Thema auf die Agenda der Deutschen rufen. Einer der diskurswürdigen Streitpunkte in Deutschland ist das Thema „Integration“. Der von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung vorgestellte Integrationsvertrag beweist, dass die Diskussion zwischen Deutschen und Immigranten nun endlich in Gang kommt.

Das Problem bei der Integrationsdebatte war schon immer, dass deutsche Politiker und Ausländer sich stets misstrauisch gegenüber standen. Deutschland streckte die Hand aus und zog sie gleichermaßen zurück. Das Land tut sich seit jeher schwer damit, sich zu seinem Status als Einwanderungsland zu bekennen. „Menschen mit Migrationshintergrund“ soll der neue Vertrag ansprechen. Bis zur Vertragssetzung fühlten diese sich befremdet, sogar fremd, wenn Deutschland keine klaren Aussagen über seinen und ihren Status traf. Auf der einen Seite machten die Politiker Zugeständnisse an die Migranten in Form von Gesetzesbeschlüssen, auf der anderen Seite respektierten sie die Menschen nicht als vollwertigen Teil ihres Landes. Sie schickten die Gastarbeiter nach getaner Arbeit zurück in ihr Herkunftsland. Bis die Süßmuth-Kommission das Zuwanderungsgesetz durchsetzte, war Deutschland lediglich ein „informelles Einwanderungsland“. Seit 2005 hat Deutschland mit Inkrafttreten des Gesetzes eine Integrationspolitik und - gesetzgebung. Damit ist es ein „formelles Einwanderungsland“. Jetzt endlich hat Deutschland endlich zugegeben, dass es geprägt ist von Menschen, die ins Land kommen, weil sie sich bessere Arbeits- und Lebensbedingungen erhoffen.

Mit dem neuen Integrationsgesetz geht Deutschland noch einen Schritt weiter. Statt lediglich Forderungen an die Migranten zu stellen, macht ihnen Deutschland mit dem Integrationsvertrag nach französischem Vorbild Zugeständnisse. Sie werden über ihre Rechte im Fall einer Diskriminierung informiert, konkrete Zusagen zu beispielsweise Kindergartenplätzen locken.
Interkulturelle und -religiöse Probleme kann auch ein Vertrag nicht lösen, der das anspruchsvolle Ziel der Integration schon im Titel trägt. Trotzdem ist der Vertrag ein Signal, um Türken, Pakistani und anderen Menschen ausländischer Herkunft zu zeigen: „Du bist kein geduldeter Fremdling in unserem Land, sondern wir wollen Dir entgegen kommen so wie Du uns entgegen kommst!“

Die Deutschen dürfen aber nicht bei diesem Signal stehen bleiben, sondern müssen stetig weiter gehen. Denn gerade religiöse Fragen im Zeichen radikaler Strömungen sowohl bei Christen, als auch Muslimen müssen diskutiert werden, um auch hier ein gegenständiges Verständnis zu schaffen. Dann kann Integration auf ganzer Linie gelingen!

Mittwoch, 11. November 2009

Romy Schneider- "Ich kann nichts im Leben, aber alles auf der Leinwand"


Sie könne so gut schauspielern, "weil sie den Dreck des Lebens noch nicht kennen gelernt" habe, sagt Magda Schneider über ihre Tochter im ARD-Film mit dem schlichten Titel "Romy". Sie sind schon gewöhnungsbedürftig, diese neuen Biographien im Fernsehen. Ob es "Schiller" am Freitagabend im ZDF war oder jetzt "Romy". Sie erinnern an die Stationentheater des modernen Dramas und zeichnen dennoch eine Lebensgeschichte. Ja, der Literaturfreund, nein -liebhaber, zu dem ich mich ja zähle, muss schon ein gewaltiges Vorwissen mitbringen.
Ansonsten könnte er die Persönlichkeit Romys in dem anregenden und tiefgehenden Film dennoch nicht erfassen.

Bereits 27 Jahre ist es her, seitdem Romy ihrer Alkohohl- und Tablettensucht, geschuldet ihrer Trauer über ihren Sohn David,erlag. Jessica Schwarz spielt Romy in allen Facetten ihrer Persönlichkeit- wie sie strahlt, wenn sie eine neue Rolle ergattert und noch vielmehr, wenn ihr David seiner Mutter um den Hals fällt. Genauso zeigt der Film die zersauste Romy mit vergrämten Blick, wie sie an ihrem Schreibtisch sitzt, raucht und trinkt. Ihr Leben lang hat die Schneider an ihrem "Sissy"-Image gelitten. Stets wollte sie als ernsthafte Schauspielerin, als Frau und nicht als puppenhaftes Mädchen,wahrgenommen werden. "Ich will endlich Rollen, die mich herausfordern", schreit sie im Film. Ihre Traumrolle war Heinrich Bölls Katharina Blum, eine "Hure", als die sie zu damaliger Zeit wahrgenommen wurde. Und als solche mag Romy ihren Zeitgenossen möglicherweise erschienen sein. "Die Männer sind nicht so wichtig", sagt sie am Krankenbett zu ihrer Mutter und lächelt. Der wichtigste Mann in ihrem Leben war ihr Sohn David, der Vater war Harry Meyen. Von diesem ließ sie sich scheiden, er nahm sie wie eine Weihnachtsgans aus. Und schon diese Geste zeigt, was Romys Ansinnen nicht war. Sie sehnte sich stets nach Freiheit. Ihr Mann, erfolgloser Regisseur, sagte in aller Öffentlichkeit, er wolle keine Frau, die selbst etwas aus sich mache. "Was hast Du denn selbst auf die Beine gestellt?", ruft Romy empört. Nein, die Männer waren nur Beiwerk. Ihre große Liebe galt dennoch stets Alain Delon, dem feurigen Franzosen. Ihre Liebe galt auch Frankreich. Hier fand sie die Anerkennung, die sie in Deutschland trotz der Sissy vergeblich suchte.

Dennoch wird am Ende des Films klar, dass selbst der Schauspielerin, deren Lebensmotto "Ich kann nichts im Leben, aber alles auf der Leinwand" war, diese Liebe nicht am Leben hielt. Denn durch einen unglücklichen Zufall stirbt ihr geliebter David - und Romy zerbricht daran. Bereits am Grab wird sie von Papparazzis verfolgt, die der von Gram gebeugten Frau keine Zeit und Ruhe zum Trauern lassen. Hier ein kleiner Appel an alle Journalisten-Kollegen zwischendurch: Verzichtet auf Fotos von trauernden Personen kurz nach einem Todes- oder sonstigen Unglücksfall, auch wenn sie medienrechtlich zu den "Personen des öffentlichen Lebens" gehören!

Romy spielt noch einen letzten Film und bricht unter ihrer Trauer zusammen. Was bleibt ist ein Nachruf an eine beeindruckende Persönlichkeit, die sich ihren Platz in der Gesellschaft, unabhängig von gesellschaftlichen Zwängen suchte. Sie kämpfte im Leben und zerbrach an seinen Schattenseiten. Es lebe Romy!

http://www.sissi.de/aktuell/links.php
Bildquelle: amazon

Mit einer starken Persönlichkeit der Krise entgegenwirken

Die „Generation Krise“ arbeitet neben dem Studium, um sich die hohen Lebenshaltungskosten und Studiengebühren zu finanzieren. Auslandsaufenthalte, zehn Fremdsprachen und fünfzehn Berufspraktika kommen hinzu.
Und dennoch klagen die Arbeitnehmer über mangelndes studentisches Engagement und Flexibilität.
Um 1969 gab es die letzte Generation von Studenten, die gegen die Gesellschaft und ihre Strukturen demonstriert hat. Heute nimmt sie unbezahlte Praktika während und nach dem Studium in Kauf, um überhaupt die Chance zu bekommen, einen Fuß ins Berufsleben zu setzen. Der Arbeitsmarkt ist undurchsichtig, ein Studium garantiert nicht automatisch eine gut bezahlte Stelle. Die Studenten begehren nicht mehr gegen lange Arbeitszeiten oder andere unwürdige Arbeitsbedingungen auf. Die Angst, keinen Arbeitsplatz zu bekommen, hemmt ihren Willen zum Protest. Die Arbeitgeber konzentrieren sich auf ihre Fülle an Aktivitäten und hören die wenigen Studenten, die sich doch noch zu wehren versuchen, gar nicht mehr an. Die Studenten studieren und arbeiten so intensiv, dass ihnen keine Zeit und keine Kraft bleiben, durch Proteste oder andere Formen des gesellschaftlichen Engagements die Lage am Arbeitsmarkt zu verändern.
Aber wenn verschiedene Bewerber mit den gleichen Qualifikationen zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, zählt immer noch die Persönlichkeit. Eine der geforderten Schlüsselqualifikationen ist die Führungsstärke, die mit einer gereiften Persönlichkeit zusammenhängt. Nur wer Umwege einschlägt und sich seine Selbständigkeit bewahrt, kann seine Persönlichkeit entfalten. Die „Generation Krise“ ist dann nicht bemitleidenswert, wenn sie die Lage mit offenen Augen durchblickt. Denn Chancen hat sie immer noch genug – sie muss sie nur ergreifen.

Samstag, 13. Juni 2009

Karlsruhe- Der Reiz einer(Studenten-)Stadt?

Karlsruhe. Eine Stadt mit vielen Gesichtern. Hier das kahle, eiserne Tor mit den Leuchtstäben über dem Torbogen. Kalt und unnahbar wirkt das 10m hohe Gebäude des ZKM. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie wie es so schön heißt. Direkt daneben wenig imposanter erstreckt sich das Gebäude des Filmpalastes am ZKM. Die Technologieregion Karlsruhe ist für die Karlsruher das Sinnbild des technologischen Fortschritts. Universität und Forschungszentrum haben sich fusioniert, auf neudeutsch heißt das „KIT“ -Karlsruher Institute of Technology. Auf der anderen Seite wirkt die Stadt wie ein etwas zu groß gewordenes Dorf. Egal in welche Richtung man vom Marktplatz aus mit der Bahn fährt, unverzüglich landet man in einem Stadtteil Karlsruhes. Schnell wechselt das Panorama von kühlen Betonbauten zu Schrebergärten, statt dem Handy halten die Menschen die Gartenschere in der Hand. Paula ist in Eile. Sie hat verschlafen und muss nun schnell in ihre Vorlesung. Dabei träumt sie nur davon, einen Tag im Schlosspark zu verbringen. Stattdessen rennt sie wie der Wind, stößt dabei fast einen alten Mann um und erwischt die nächste Straßenbahn. Als sie endlich im Vorlesungssaal sitzt, ist sie von den Gegensätzen ihrer Umgebung wie gebannt. Hier der kühl wirkende, blaue Tisch, draußen die strahlende Sonne, nach der sie sich eben so sehnt. Was ist es, das den Reiz dieser Stadt ausmacht? Für Paula ist es der Reiz des Neuen. Sie die Konservative, die früher nie auch nur einen Mann angesehen hatte, fühlt sich gefangen im Reiz der Studentenstadt. Gehst Du heute Abend mit in den Krokokeller? Nun, man soll schließlich soziale Kontakte pflegen. Klar, gehe ich mit. Wie viele solche Verabredungen sie hatte, sie weiß es nicht. Jedenfalls zu viele, sie fühlt sich verletzt. Miese Komplimente, ein Klaps auf den Po. Im Nachhinein ekelt sie sich vor sich selbst. Karlsruhe, eine Stadt, geprägt von ihrer Liberalität, hat ihre Spuren in ihrem Leben hinterlassen.

Paula bin nicht ich. Die Figur ist ein Beispiel dessen, was passiert, wenn eine vom Stereotyp her konservative Person ihre ersten Gehversuche in der Großstadt macht. Was bedeutet die neue Freiheit im Leben einer jungen Studentin oder eines jungen Studenten überhaupt? - Denken Sie doch einfach mal ein wenig darüber nach!

Religion- eine reine Machtfrage?

Das Geschichtsmagazin des Spiegels berichtet in seiner neuesten Ausgabe über die geschichtlichen Hintergründe der Weltreligionen. "In Jersusalem ist fast jeder Ort, sind selbst die Steine umstritten", berichtet das Magazin auf Seite 17. Ein Dutzend Mal habe die Stadt die Religion gewechselt, Andersgläubige wurden wie so oft unterdrückt. "Dabei erwiesen sich die Muslime jedoch als weitaus toleranter und gewaltloser als die Christen. Die Juden herrschten fast 2000 Jahre nicht." Immer noch streiten die verschiedenen Religionen um das Alleinstellungsmerkmal. Doch der gleiche Artikel teilt seinen Lesern mit, dass es sich bei dem selben Berg um den Zionsberg handelt, in dem Jesus mit seinen Jüngern das erste Abendmahl hielt. Nicht nur das. Direkt darunter befinden sich eine Moschee und die steinerne Kammer, in der Juden das Grab Davids anbeten. Die gleichen Ursprünge der Religionen an einem Ort, einer Stadt, die alles für die Religionen ist - der Ursprung ihrer selbst. Gleicher Ursprung, ähnliche Personen und Geschichten in der Überlieferung. Warum akzeptieren sich die Anhänger der Religionen nicht endlich untereinander? "Glauben ist nicht wissen", sagt man. Da ist was Wahres dran. Was aber eine Tatsache ist: Leider geht es auch in Religionen viel zu sehr um Machtausübung. Im Zuge des Nationalismus ging es religiösen Siedlern "nicht bloß um Heiliges, sondern ganz profan um den Besitz des Landes." Problematisch sei, dass die Stadt auch derart mit Emotionen beladen sei, "von allen Seiten derart überhöht, dass nüchterne Verhandlungen kaum möglich sind. Jedes Detail wird sofort zur Grundsatzfrage." Die Grundsatzfrage ist für mich dabei, ob man nicht endlich für den Willen Gottes und nicht angeblich im Namen Gottes kämpfen sollte. Der israelische Präsident Schimon Peres meint im Interview über die "Hauptstadt unseres Lebens": "Alle dachten wohl, Jerusalem verleiht ihrer Herrschaft auch spirituelle Macht. Es liegt etwas Mystisches in unserem Klima hier, die Farben haben ein besonderes Gold, wie ein Anstrich des Göttlichen." Schön, wenn statt dem Machtdenken und dem Zauber einer Stadt auf innere Werte wie Mitmenschlichkeit und Barmherzgkeit Wert gelegt werden würden. Gestern habe ich im Rahmen eines Projekts das Freitagsgebet der Muslime besucht. Schön, möglicherweise aber auch utopisch, wäre es, wenn sich die Religionen mehr auf ihre gemeinsamen Wurzeln besinnen und ihre Anhänger sich mehr zuhören würden.

Samstag, 6. Juni 2009

Big Brother is watching you, oder: Danke, RTL, ich möchte immer noch Kinder!

RTL hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Leute zu unterhalten. Und für Gesprächsstoff sorgt der Boulevard-Sender wirklich. Nicht nur einst mit "Big Brother", dem "Dschungelcamp" oder jetzt mit dem Erziehungsversuch "Erwachsen auf Probe": RTL schafft es tatsächlich, Emotionen zu wecken und für Gesprächsstoff zu sorgen. Armes Deutschland, wenn sich Gespräche nur dann entwickeln, wenn Voyerismus und kleine Skandälchen im Spiel sind. Ist es nicht schon fatal, dass ein Privatsender Jugendlichen beibringen will, wie sie ihre Kinder erziehen sollen? "Nein", werden Befürworter der Aktion sagen. RTL wolle doch nur die Jugendlichen zum Nachdenken darüber, wann sie ein Kind haben wollten, anregen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 5. Juni passend dazu: "Die Quote für die durch die Kritikerschelte bestens eingeführte Show war fabelhaft. Mehr als drei Millionen Zuschauer waren dabei, vor allem junge Frauen." - Super RTL, gute Leistung. Aber um welchen Preis? "Mehr als drei Millionen Zuschauer waren dabei, vor allem junge Frauen. Gut, dass viele davon gleich bei Stern TV weiterschauten und die hervorragende Marlis Herterich mit ihrer glasklaren Kritik hören konnten. Am allerbesten aber war, dass man ein Teenagerpaar, 16 Jahre, zweijährige Tochter, gefunden hatte, die über das wirkliche Leben als junge Eltern redete. " Diese junge Mutter würde heute erst mit 25 Jahren Mutter werden. Brauche ich RTL, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen?-Nein! Angesichts einer gestiegenen Arbeitsbelastung, längeren und nicht unbedingt geradlinigen Ausbildungswegen würde heute keine, wenn nicht neureiche, Frau ein Kind bekommen. Zu unsicher sind die Zukunftsaussichten.

RTL neigt dazu, dem Zuschauer Probanden vorzustellen, die Stereotypen entsprechen. Diese Jugendlichen legen sich auf ihr Baby, schlagen ihre Freundin - und der Zuschauer guckt sich die Misere an. Super RTL, dass Du Stereotypen zur Schau stellst! Jugendliche, die sich mehr um sich selbst als um andere kümmern, perfekt. Sie gehorchen genau dem Vorwurf, den die ältere der jüngeren Generation gerne macht.
Wären alle Jugendlichen so, würde ich Deutschland raten, keine Kinder mehr zu bekommen! Eine Frau, die psychisch gesund ist, besitzt einen ganz normalen Mutterinstinkt. Sie benötigt keinen Erziehungsratgeber á la RTL. Abgesehen davon, dass es keinen Elternführerschein für werdende Eltern gibt, wie ehemals von der Politik gefordert, würde ich mir etwaige Erziehungsvorschriften von einem kommerziell orientierten Sender wie RTL erst recht nicht bieten lassen!

Ständig wird den Medien vorgeworfen, sie beeinflussten ihre Rezipienten auf negative Art und Weise. Ständig wird die Frage gestellt, inwieweit diese das von den Journalisten umgekehrt sogar einforderten.
Traurig, wenn hohe Zuschauerquoten beweisen, dass sich viele Zuschauer an diesem Schauspiel ergötzen. Würden sie sich in dieser Zeit um ihre Kinder kümmern, würden sie diese Sendung überflüssig machen. Schlecht für RTL, gut für den Zuschauer.

Mittwoch, 6. Mai 2009

Wieviel Voyerismus ist gesund?

Da ist sie wieder, die Rettung aller Eltern, unser Vorbild für die, die noch keine Kinder haben, aber noch welche möchten. "Unsere" Super-Nanny sorgt sich um das Familienglück der Eltern und ihrer missratenen Kinder. Und das in einem Sender, der uns schmackhaft machen will, dass Unterhaltung und Boulevard das A und O ist. Da fängt die Misere auch schon an. Wenn wir Medienmacher unseren Rezipienten und am besten noch der Allgemeinheit helfen können, sind wir zufrieden. Der Preis dieser Zufriedenheit ist eine oft künstliche Realität. Denn sind wir echt so voyeristisch, dass wir uns brennend dafür interessieren, wer sich wo in Deutschland innerhalb der Familie den Kopf einschlägt? Wohl ja, denn sonst wäre die Sendung schon längst abgesetzt worden und nicht in Neuauflage erschienen. Es wäre ja auch sinnvoll, wenn deutsche Eltern aus den Fehlern anderer Eltern lernen würden. Doch ist es zweifelhaft, ob gerade die Eltern, die es nötig hätten, sich diese Sendung zu Gemüte führen. Wer es nötig hat, ist schwer auszumachen. Die Familie steht - gottseidank- unter dem Schutz des Grundgesetzes. Einen Eltern-Führerschein, wie von der Politik einmal angebahnt, gibt es nicht. Wo bleibt also der Nutzen? Wohl im Sehen und Gesehen-Werden, das der Sender auch in Sendungen, in denen die halbe Welt mitansehen kann, wie Frauen ihr Kind bekommen, verfolgt. Es wäre uns zu wünschen, dass wir uns auf andere Weise präsentieren könnten und uns durch andere Werte definieren.

"Ich kann nichts an meiner Situation ändern?"-Doch!

Manchmal erscheint es mir, als befände ich mich in einer Welt, die der realen nicht wirklich gleicht. Was aber genau ist die reale Welt? Wenn ich mir die Welt so bedenke, dann frage ich mich oft, ob wir Menschen so blöd sein können, dass wir offensichtlich so viele Fehler begehen. Was gibt zum Beispiel den Anlass für den Diätenwahn? Dass wir zu dick sind, oder – und das ist noch viel fataler – dass wir uns zu dick fühlen. Warum tun wir dann nicht im Voraus etwas dagegen, dass wir überhaupt erst nicht dahin kommen?Beim Kleinen angefangen, wundern wir uns auch, wie Einzelne von uns solch eine Krise, wie es die aktuelle Finazkrise darstellt, heraufbeschwören können. Einzelne von uns, nein, leider jeder von uns, der kommentarlos zusieht, wie der Materialismus Ausmaße annimmt, die wir nicht wollen können, sollte noch ein einziger anderer Wert wie Mitmenschlichkeit in uns sein. Ich krieg' die Krise...

Donnerstag, 12. März 2009

Allein unter vielen - eine Klage der Zeit

"Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, die Tiefen der jugendlichen Seele neu ergründen zu wollen; in Einsamkeit und schulischen Ängsten, zerbrechlichen Freundschaften und unglücklicher Liebe umkreist es keine neuen Themen. Aber dem Leser einen neuen Blick auf die Dinge zu verschaffen, vermag es durchaus." Genauso eindringlich wie der Buchklappentext es verrät, ist auch der Inhalt des 67seitigen Büchleins von Lucas Fassnacht. Der 21jährige im hessischen Dieburg aufgewachsene Student studiert Germanistik und Griechische Philosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Neben dem Studium schreibt er Gedichte und Kurzgeschichten, die er auf Poetry Slams vorträgt. Seine Erzählung "Allein unter vielen" ist im vergangenen Jahr im Wagner-Verlag erschienen, einem Verlag, der sich bemüht, Autoren zu unterstützen, die in ihren Büchern Themen wie "Selbstvertrauen" und "Persönlichkeit" zur Sprache bringen.

"Beurteilen Sie, ob ich alles versuchte, die Hoffnungen zu erlangen, die sich mir boten. Sagen Sie, ob ich daran schuld bin, wenn ich sie nicht behalten konnte", begrüßt der Ich-Erzähler seine Leser auf den ersten Seiten seines Buches und tritt damit in direkten Kontakt mit seinen Lesern.
Der Ich-Erzähler stellt sich als 17jährige vor, die als Einzelkind zusammen mit ihren Eltern in einem kleinen Reihenhäuschen in "einer mittelkleinen Stadt" wohnt. Diese Umgebung beschreibt "sie" sehr präzise. So präzise, dass der Leser schon zu Beginn des Buches ahnt, dass der Erzähler eigentlich eine Botschaft zu vermitteln versucht, die weitergeht."In Einsamkeit und schulischen Ängsten, zerbrechlichen Freundschaften und unglücklicher Liebe umkreist es keine neuen Themen" verspricht das Buch noch vor dem ersten Lesen und der Lektor macht keine leeren Versprechungen. Die Protagonistin fühlt sich eingeengt in ihrer Welt, angewidert von der Enge ihres Elternhauses und der Oberflächlichkeit ihrer Eltern. Mit Sarkasmus schafft sie sich Luft: Das "Ehepaar Greiß. Das hatte spät seine Kinder bekommen, sodass es diese erst losgeworden war, als es für ein mehrstöckiges Haus das Alter bereits verloren hatte. Trotzdem beschlossen die beiden, ihren Tod darin abzuwarten - unglücklicherweise verstarb ihr Mann daheim und betrübt zog die verwitwete Frau Greiß ins Altersheim." Der ironische und anklagende Ton des Erzählers durchzieht das ganze Buch. Seine Eltern schicken die Protagonistin zum Psychotherapeuten, weil sie mit seiner Intelligenz und Weitsicht nicht klar kommen: "Als ich zurück ins Wartezimmer kam, wo meine Mutter auf mich wartete, fielen mir all die Menschen dort auf. Sie alle, so unsäglich nichtssagend schienen sie mir. "

Stellenweise wirkt die Klage des Erzählers nicht sehr überzeugend. Er sieht sich als hilfloses Individuum in einer blinden Gesellschaft: "Ich vermute immer noch, dass die Ereignisse einander gerade in falschen Momenten umarmten, außen vorließen. Obwohl ich meine Hausaufgaben brav erledigt habe, verstanden habe ich sie selten." Diese Passage schildert die ganze Hilflosigkeit des Erzählers. Sein Missfallen an der Gesellschaft und an Erscheinungen wie Gier, Außenseitertum sowie die Suche nach Halt und Anerkennung wirken dann nicht überzeugend, wenn er zugibt, sich in seine Situation kompromisslos zu fügen. Warum ist die Protagonistin "ohne Freunde oder sonst jemanden, mit dem ich die Zeit hätte verbringen können?" Zwei Freunde begleiten sie auf ihrem Weg: Sofie, drogenabhängig und mehrmals, auch zum Schluss, in derEntzugsklinik und Benedict, ihre große Liebe sind es, denen sie während ihrer Freundschaft keine Nähe einräumen kann. Denn "das Unglück bestand darin, dass auch umgekehrt niemand um meine Bekanntschaft bemüht gewesen wäre." Woran liegt das? An der mangelnden Überzeugungskraft der Strategie der Protagonistin. Sich in einem Brief kritisch und anklagend zu äußern ist ein gutes Mittel der Demokratie. Schon aber die Form des Briefs schafft eine gewisse Distanz. Ein Brief ist etwas sehr Persönliches, soll er aber hier nicht alle Mitglieder der Gesellschaft erreichen? Das offene Ende des Buches erreicht seinen Höhepunkt in der Anklage, die in dem versuchten Selbstmord der Protagonistin gipfelt. Warum er nicht gelang? Weil ihre Angst vor dieser Tat zu groß war und zugleich eine Ermahnung ist, dass angesichts einer solchen Hilflosigkeit der Jugend dringend gesellschaftlicher Rat gefordert ist. Wie wäre es mit ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Respekt?

Lucas Fassnacht: "Allein unter vielen", Erzählung, Wagner-Verlag, 2008,
67 Seiten, 7,90 Euro
erhältlich unter
http://www.wagner-verlag.de.buch.php

Wer ist eigentlich Ingrid Noll?

Ingrid Noll liest am 11.3. in der Pforzheimer Thalia-Buchhandlung

Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des Kriminalromans und das obwohl "sie keine Krimis schreibt", wie sie selbst sagt. Ihre Werke haben klingende Namen wie "Der Hahn ist tot", "Die Häupter meiner Lieben", "Die Apothekerin" und "Kalt ist der Abendhauch."

"Seid Ihr auch alle da?" fragt die sympathische Autorin ihre Leser, die sie an diesem Mittwoch-Abend besonders herzlich begrüßt. Sie alle haben das schlechte Wetter in Kauf genommen, um sie zu sehen. Wegen des schlechten Wetters ist der Saal im obersten Stockwerk der Thalia-Buchhandlung nicht bis auf den letzten Platz gefüllt wie bei den vorherigen Lesungen der Autorin.
Bereits zum dritten Mal liest Ingrid Knoll vor einem Publikum mittleren Alters. Ihr neues, im Diogenes-Verlag erschienenes Buch, heißt "Kuckuckskind." Das Buch erzählt die Geschichte von Anja, die sich nichts sehnlicher als ein Kind wünscht. Als sie von einer nicht stattgefundenen Chorprobe nach Hause kommt, erwischt sie ihren Gatten Gernot in flagranti mit einer anderen. Verschreckt und in einem Anfall von Rachsucht schüttet sie den frisch gebrühten Kaffee " über die nackten Bäuche" - und erntet damit den ersten, aber nicht den einzigen Lacher des Abends.

Die Autorin begeistert ihre Leser an diesem Abend ein weiteres Mal mit ihrer lockeren und zugleich ernsten Art. Ihr Roman sei in der Ich-Form geschrieben, "doch die Protagonistin bin nicht ich", schmunzelt sie. Diese sei Ende 30 "und damit sie nicht rechnen müssen, ich werde 74." Ernst wird ihr Blick, wenn sie die Umstände schildert, denen sich die Protagonistin ausgesetzt sieht. Anja lässt sich scheiden, wird deswegen depressiv und lässt sich gehen. Sie ist Lehrerin, doch lässt die Hausaufgaben, die sie korrigieren soll, beiseite, um sich dem Sudoku zu widmen. Herrlich fängt Noll Alltagssituationen ein, denn "Anja kauft sich eine Menge Frauenzeitschriften, um jedes Sudoku zu lösen. Sie wird vom Internetwahn gepackt, weil sie nur damit beschäftigt ist, sich die neuesten Zahlenrätsel aus herunterzuladen. Wie der Titel des Romans verrät, soll sich Anjas Kinderwunsch am Ende erfüllen.

Ingrid Noll ist eine gute Beobachterin. Die Erlebnisse ihrer Figuren haben starke Ähnlichkeit mit denen der Autorin, sind ihr dennoch nicht persönlich geschehen. "Für dieses Buch habe ich sehr genau meine Kinder und Enkelkinder beobachtet", erzählt sie. Die fast 74-jährige Autorin ist erst spät Großmutter geworden. Und auch die "späten Großmütter" sind Thema des Buches.
"Warum sterben in Ihren Romanen die Männer oder werden von den Frauen umgebracht?", lautet eine Frage aus dem Publikum. "Die Frauen sind die Bösen, die die armen Männer erledigt haben", lacht die Autorin und das Publikum lacht mit ihr. Diese Tatsache ist nach den Aussagen der Autorin reine Beobachtung, keine Gesellschaftskritik. Ihre persönlichen Kritiker sind ihr Mann und die Kinder. Erst wenn fünf Leute ihr Skript gelesen haben, gibt sie es in die Hände ihrer Lektorin. Mit Ruhe spricht sie ihre Vorgehensweise von der Idee zur Niederschrift an: "Ich notiere nicht alles von vorne bis hinten, was ich später niederschreibe. Lediglich die Geburtsdaten ihrer Protagonisten bringt sie zu Papier, "weil ich so schlecht in Mathe war."

Welcher ihrer Leser darauf hofft, dass sie ihr Leben in Form einer Autobiographie niederschreibt, wird enttäuscht. Sympathisch und und ihren Lesern gegenüber sehr offen wirkt die Autorin auch während dieser Lesung. Dennoch führe sie kein Tagebuch, "weil ich Angst habe, dass es jemand aus meiner Familie veröffentlicht." Ingrid Noll hat einen Ausgleich in ihrer Familie gefunden wahrt dennoch ihre Privatsphäre, das merkt man.

Nachdem sie bereits den Kinofilmen "Die Apothekerin" (unter anderem mit Katja Riemann, 1997), "Kalt ist der Abendhauch" (mit Fritzi Haberlandt und anderen, 2000) und den "Häuptern meiner Lieben" (unter anderem mit Heike Makatsch, 1999) mit ihren Büchern die Textvorlage geliefert hat, kommt in Kürze "Ladylike"als Fernsehfilm ins ZDF.

Ingrid Noll: "Kuckuckskind", Diogenes, 2009, 352 Seiten, gebunden, 21,90 Euro




Dienstag, 10. März 2009

Jung, wild und authentisch: "Lauter Leben" lebt und singt sich in die Herzen der Generation twenty plus

"Wir sind laut, wir sind frei, wir wollen träumen"- fünf süße Jungs aus Köln erobern die Herzen ihrer Generation. "Lauter Leben" ist die Antwort für alle zwischen 20 und 30, die Spaß am Leben und der Musik haben. Nico Rebscher(Gesang und Akustik-Gitarre), Philipp Breidenbach (E-Gitarre und Background-Gesang), Nils Plum (Schlagzeug), Christian Golz (Bass), Samuel "Samwise"Reissen (Rap) sind fünf junge Männer zwischen 23 und 27 Jahren, die seit zwei Jahren ihrer Leidenschaft, der Musik, nachgehen. Mit einem Mix aus energetischem Pop, Soul und Funk unterstreichen die Jungs ihre Texte und machen ihren Hörern Mut, sich dem Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen zu stellen: "Musik befreit. Man muss sich nicht den Zwängen des Alltags unterordnen", lächelte Frontman und Sänger Nico auf der Visa Young Publishers Night im vergangenen Jahr. Im November 2008 erschien ihre Debüt-CD "Auf den Punkt gebracht." Sie ist der auf CD gebrannte Ausdruck der Ungezwungenheit, mit der die Jungs an ihre Songs rangehen. Diese Ungezwungenheit und das Lächeln ihres Frontmans täuscht nicht darüber hinweg, dass die Jungs in ihren Songs wahre Geschichten verarbeiten. In "Ohne mich" beschreibt Frontman Nico seine Gefühle während und nach seiner letzten Beziehung.
Ihr Song "Süden" kann dank seiner Sehnsucht nach individueller und idealistischer Freiheit heute als Hymne für alle gelten, die den Folgen der Finanzkrise und allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheiten trotzen und ihre Träume trotzdem verwirklichen wollen.

Kennengelernt haben sie sich während ihres gemeinsamen Musikstudiums am Conversatorium Maastricht. Schon damals verschrieben die Jungs ihr Leben ganz der Musik und wussten, dass sie "nichts anderes als Musik machen wollen."Ihr persönlicher Erfolg gibt ihnen recht. Sie standen nicht nur im letzten Jahr während der Visa Young Publishers Night in Dortmund auf der Bühne, die Silbermond den Weg ebnete. Auch als Vorgruppe von Fanta 4 heizten die Jungs in Heinsberg bereits die Stimmung auf. Nach ihrer Release-Tour im vergangenen Jahr wollen die Musiker mit einer eigenen Homepage (http://www.lauterleben.com) und weiteren Tour-Terminen (siehe Homepage der Band) auch 2009 hoch hinaus. Gänsehautschauer und Tanzgefahr garantiert!

Als nächstes live erleben könnt Ihr die Jungs zusammen mit "Six Nation" am 28. März ab 20 Uhr im Resaturant und Livekeller "Sansibar" in Koblenz. Davor sind sie bereits am Freitag, den 13. März, zusammen mit Emma6 und The Spoilt ab 19.30 Uhr in der im Domforum in Köln zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Der Fünfte im Bunde, Samuel, ist auf dem Fotos nicht zu sehen, da er noch bei anderen Bands mitspielt. Samuel ist für die Hip-Hop-Elemente der Songs zuständig.

Montag, 9. März 2009

Der Autor ist tot?!?- Nein, Kehlmann sei Dank!

Unter anderem Michel Foucault brachte in der deutschen Literaturwissenschaft die Diskussion in Gange, dass der Autor hinter seinem Werk zurücktrete.
Daniel Kehlmann beweist in seinem neuen Werk "Ruhm" , dass das nicht der Fall ist. Gleich in der ersten von neun Geschichten mit dem Titel "Stimmen" spielt er nicht nur alle sprachlichen Variationsmöglichkeiten der deutschen Sprache aus. Er wechselt von der Ich- in die Autorperspektive, spricht mit seinen Figuren und lässt sie samt dem Erzähler sterben. Wie fühlt sich eine Figur im Roman? Wie verhext ist die deutsche Sprache durch Blogs, Internet, Computer und Co.? So sehr jedenfalls, dass sich ein Blogger danach sehnt, eine Romanfigur zu sein. Ist es die Sehnsucht nach der "guten" (?) alten Zeit und der deutschen Schriftsprache, die den Autor antreibt, dieses Mahnmal zu verfassen? Betrachtet man den Stilwechsel zwischen der "normalen" Schriftsprache und dem Deutsch, dass Kehlmanns Internetblogger nutzt, ja. Alles Weitere muss dem Leser selbst überlassen werden, denn der nicht-totgesagte Autor braucht seine Leser, um zu überleben...

Daniel Kehlmann: "Ruhm", Rowohlt Verlag, Hamburg, 2009,
203 Seiten, 18,90

Sonntag, 8. März 2009

Kommentar

Zu „Um Gottes Willen"(taz vom 10. Januar 2009)/Christen im Kreuzzug gegen den Zeitgeist

Sind gelebtes Christentum und weltliche Geschehnisse ein Gegensatz? Den Evangelikalen zu Folge schon. Sie lehnen den so genannten „Zeitgeist“ ab. Sie unterrichten ihre Kinder zu Hause, um sie vor Ansichten, die der Bibel nicht gleichkommen, zu schützen. Konfrontation zerstört die Wahrheit der Bibel nicht. Jesus Christus starb für uns. Unsere Sünde ist uns vergeben. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Menschen immer Fehler gemacht haben und machen werden. Erscheinungen des Zeitgeistes resultieren teilweise auch aus solchen Fehlentscheidungen. Was ist das Problem einer Parallelgesellschaft? Es ist nicht die mangelnde Toleranz eines Teils der Christenheit, der die Naturwissenschaften und Tendenzen innerhalb der Gesellschaft nicht respektiert. Es sind Werte wie Ehe oder Gottesfurcht, die den Menschen Orientierung bieten und die in einer säkularen Gesellschaft in Vergessenheit geraten. Rechtes Tun richtet sich nach göttlichen Geboten und menschlichen Gesetzen. Die Trennung von beidem gelingt nur theoretisch. Faktisch steht schon im ersten Artikel des Grundgesetzes, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Und genau das ist das Resultat des Gebots der Nächstenliebe. Die Bibel ist die Grundlage für unser Leben, aber eben deshalb kann sie nicht zusammenhanglos mit diesem bestehen. Über den Sinn und Unsinn mancher Erkenntnisse der Wissenschaften, egal welcher Fachrichtung, kann man streiten. Grundsätzlich sollen
sie das Leben erleichtern. Durch Flugzeuge, Autos und Bahnen lässt sich die Botschaft vom Wirken Gottes schneller weiterverbreiten. Trotzdem sind wir Christen nicht auf der Erde, um nur in Gedanken darauf hin zu leben, dass Jesus wiederkommt. Das irdische Leben sollen wir nutzen, indem wir unsere Talente fördern und Gott damit zur Ehre gereichen. Um sich der Aufgabe eines Maschinenbauers zu widmen, bedarf es eines großen Fach- und Expertenwissens, das Eltern, da sie einer anderen Generation angehören, schon nicht mehr vermitteln können. Infolgedessen sollten sich auch Christen weltlichen Erkenntnissen öffnen können.
Auch der so genannte „Zeitgeist“ zeigt die Tendenzen einer Orientierungslosigkeit, in der sich der zumindest nicht-christliche Teil der Gesellschaft befindet. Die Aufgabe eines jeden Journalisten ist es, auf kritische Zustände innerhalb der Gesellschaft hinzuweisen. Pornographie, Glücksspiel und Suchterkrankungen sind Zeichen einer Suche des Menschen nach Anerkennung und Sicherheit in einer schnelllebigen Welt. Den wenigsten Menschen sind die grundlegenden Ursachen für diesen Zustand bewusst. Ein Suchtkranker merkt irgendwann, dass der Liebeskummer ihn in die Sucht trieb.
Er weiß heute, wenn er nicht schon Christ ist, aber nicht mehr warum. Säkulare Medien verschweigen, dass es an dem distanzierten Verhältnis zu Gott liegt. Ein Medium steht zwischen Experten und Publikum. Hier verändern sich die Rollenbilder. Der Journalist ist nicht mehr Gatekeeper, sondern steht dank des Internets mit seinem Publikum auf einer Stufe. Die Technik ermöglicht ihm, seine Leser besser und schneller zu erreichen. Durch die Medienkompetenz des Journalisten kann die Nächstenliebe auch über technische Hilfsmittel wie Druck oder Internet mehr Menschen erreichen als durch Mundpropaganda. Technik, die ihr zu Grunde liegende Wissenschaft und Glauben werden auch hier miteinander konfrontiert. Naturwissenschaft und Glaube sind kein Gegensatz, wenn sie miteinander in den Dialog treten. Diesen Dialog anzuregen, ist die Aufgabe eines christlichen Journalisten.

Kurzer Kommentar zur Moral im Finanzwesen

Deutschland, nein, nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt steckt in einer Krise. In einer Krise? Nein, in einem finanziellen Desaster, dessen Auswirkungen noch lange nicht bekannt sind. Weder die Banken selbst, noch die Wirtschaftsexperten sind darüber im Bilde, wie viele so genannte faule Kredite sich im Umlauf befinden. Ohne Finanzexperte zu sein, mag dies ein Schock für jemanden sein, der mit offenen Augen durch das Leben geht. Unweigerlich drängt sich die Frage nach der Moral auf. Können Banken und Fondsgesellschaften mit dem Kapital spielen, das ihnen die Bürger anvertrauen? Die verblüffende Antwort ist: Ja, sie können. In unserer Gesellschaft existieren verschiedene Systeme, wie schon der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann erkannte. Und analog zu seiner Systemtheorie funktioniert das Leben der jeweiligen Akteure in diesen Systemen nach seinen eigenen Gesetzen. „Allokation“ nennen die Wirtschaftswissenschaftler ein Verfahren, bei dem es schlichtweg um die Verteilung von Gütern geht. In einer Marktwirtschaft, wie wir sie hierzulande besitzen, bedeutet dies: Der Marktteilnehmer erhält das Gut, der den höchsten Preis dafür zahlt. Selbiges Prinzip sorgt automatisch für eine Ungleichverteilung der Güter innerhalb der Gesellschaft, die zum Beispiel der politisch linke Flügel der meisten Parteien ständig kritisiert. Statt der Moral zählt also die Effizienz.

Wer mehr erfahren will, der verfolge die Diskussion zu Bad Banken und der Schuldfrage, siehe zum Beispiel Diskussionen in der Die Zeit, Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Süddeutsche Zeitung.
Die Frage der Moral in den Wirtschaftswissenschaften und im Finanzwesen wird auch in der aktuellen "Zeit Campus" behandelt.

Rezension zu Jhumpa Lahiris "Einmal im Leben"/ "Unaccustomed earth"

Jhumpa Lahiri erhielt bereits vor neun Jahren für ihre erste Kurzgeschichtensammlung „Interpreter of Maladies“ den Pulitzer-Preis für Literatur.
Der deutsche Titel „Melancholie der Ankunft“ könnte zur Beschreibung von Lahiris Gesamtkunstwerk dienen. Denn genau wie in ihrem Roman „The Namesake“ geht es auch in „Melancholie der Ankunft“ um das Gefühl der Heimatlosigkeit. Ihr neuer, im Rowohlt Verlag erschienener Erzählband „Einmal im Leben“, ist der ebenfalls im vergangenen Jahr im „Alfred Knopf“ - Verlag erschienenen Sammlung von Kurzgeschichten, „Unaccustomed earth“, entnommen. Die Liebesgeschichte ist die Zusammenfassung dreier Geschichten, die alle vom Leben und Lieben der Protagonisten handeln. Auch diese Kurzgeschichtensammlung spannt auf den ersten Blick den Reigen in ihrem Gesamtwerk weiter. Dank ihrer einfachen Sprache lässt die Autorin dem Leser viel Spielraum. Genau wie ihre Vorgänger ist die Geschichte zweier Liebenden eine Geschichte ohne eine komplizierte Dramatik. Dennoch berührt den Leser Lahiris Stoff in der Geschichte, die den Untertitel „Eine Liebesgeschichte“ trägt. Erzählt aus beider Erfahrungsraum schildert Hema in der Du-Perspektive ihre Gefühle zu Kaushik. In der ersten Hälfte des Buches klagt sie dazu über Probleme mit ihren Eltern. Bei den Eltern der Protagonisten handelt es sich um bengalische Einwanderer. Hema und Kaushik lernen sich als Jugendliche in Hemas Elternhaus in Massachusetts kennen. Beide können zunächst wenig miteinander anfangen. Hema, drei Jahre jünger als Kaushik, ist konfrontiert mit dem Erwachsenwerden. Sie kämpft um Anerkennung in der Schule und in ihrem Elternhaus. Doch mag es nicht nur auf den deutschen Leser befremdlich wirken, dass Hema ihre Schlafstätte im Zimmer ihrer Eltern findet. Hema kann sich mit den kulturellen Traditionen ihrer Eltern nicht anfreunden. „Unabhängigkeit“ meint in diesem Zusammenhang die räumliche Trennung. Als die Eltern der Protagonistin auch noch Kaushiks gesamte Familie in ihrem Haus aufnehmen, ist Hema ihrer Privatsphäre vollständig beraubt. Doch ihre Neugier erwacht. Während Hema erste Liebesgefühle verspürt, bleibt Kaushik zurückhaltend. Denn auch Kaushik hat Probleme. So verrät er Hema am Ende des ersten Teils, dass seine Mutter sehr krank ist und zum Sterben nach Neuengland gekommen ist, um endlich ihre Anonymität zu wahren. Während zwischen beiden damit das Eis gebrochen und der Akt der Fremdheit überwunden zu sein scheint, führt das Schicksal beider Wege in unterschiedliche Richtungen. Während es Hema gelingt, ihr eigenes Leben zu führen, wendet sich Kaushik in der zweiten Geschichte des Erzählbandes an Hema. Kaushik hat seit dem Tod seiner Mutter seine Wurzeln verloren. Mit Unverständnis, Wut und Trauer reagiert er auf die Ankündigung seines Vaters von dessen anstehender Hochzeit mit einer auffallend jüngeren Frau. Unbehagen bereitet Kaushik die Tatsache, dass sein Vater seine neue Frau, Chitra, nicht aus Liebe, sondern zur Verrichtung der täglich anfallenden Hausarbeit geheiratet hat. Trotzdem versucht Kaushik, der in seiner neuen Patchworkfamilie eine neue Heimat sucht, einen guten Kontakt zu Chitras Töchtern herzustellen. Dieser wird zunichte gemacht, als er seine Stiefschwestern eines Tages dabei erwischt, wie sie die Fotos seiner Mutter betrachten. Geschockt von seiner aufkeimenden Erinnerung an seine Mutter entreißt er den Mädchen die Kiste mit den Bildern. Das Verhältnis zwischen Chitras Töchtern und Kaushik soll sich bis zu seinem Tod nicht erholen. Kaushiks Heimatlosigkeit ist der Grund, warum er sich Hema bis zum Schluss nicht öffnen kann. Sein Heiratsantrag am Schluss ihrer gemeinsamen Liebesgeschichte ist kein romantischer. „Heirate ihn nicht!“ sagt Kaushik zu Hema. „Er“ ist das Produkt einer Vernunftehe. Nach Hemas Beziehung mit einem verheirateten Mann, der Hema vergeblich Ehe und Treue verspricht, erscheint Navin in Hemas Leben. Hema denkt auch in ihrer Beziehung zu dem neuen Mann ständig an Julian. Sicherheit, nicht Liebe, wähnt sie in ihrer neuen Beziehung. Hema ist inzwischen Altphilologin. Nicht nur ihre Berufswahl deutet darauf hin, dass sie ihr Heil in der Vergangenheit sucht. Auch die arrangierte Ehe mit Navin scheint nicht vielmehr als ein Ersatz für Kaushik, Hemas erste große Liebe, zu sein. Auf der vorletzten Seite des 175-seitigen Bandes schreibt sie nach einem Seitensprung mit Kaushik: „Am Ende der Woche traf Navin ein, um mit mir die Ehe zu schließen. Sein Anblick erregte Abscheu in mir, nicht weil ich ihn betrogen hatte, sondern weil er noch immer atmete, weil er für mich da war und noch unzählige Tage zu leben hatte.“ So spricht keine Frau, die liebt. Nicht sie ist es, die Navin heiraten möchte, sie wird geheiratet und bleibt damit passiv. Es ist die Aussage einer Frau, die sich ihr ganzes Leben lang einer Liebe hingegeben hat, die sie nur einen kurzen Augenblick lang genießen durfte. In der deutschen Literaturwissenschaft gilt bei Autoren wie Gunther Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter „Heimat“ als Bewegung gegen „das Gleichmacherische“, „das die Eigentümlichkeiten der jeweils betrachteten Entität gefährden würde.“ Zivilisation gilt hier als Untergangsphänomen, dem man optimistisch gesehen die Kultur als Hort der Eigentümlichkeiten entgegenstellen oder dem man pessimistisch gesehen ausgeliefert sein müsse. „Heimat“ sehen die Autoren als Erneuerungs - und Gesundungsprogramm der Zivilisation. „Einmal im Leben“ dreht sich, auch wenn das Werk nicht der deutschen Literaturwissenschaft entspringt, um die Frage nach dem, was „Heimat“ für die Protagonisten bedeutet. Beide versuchen, heimisch zu werden, in Leben miteinander ihre Heimat zu finden. Doch sie kommen nicht beieinander an. Beide finden einen Beruf, sie als Altphilologin, er als Fotograf. Kaushik lernt die Welt kennen, bleibt sich selbst dennoch fremd, weil er den Verlust seiner Mutter nie verwinden, seine Stiefmutter nie akzeptieren kann. Hema sucht ihr Leben lang nach dem, der ihr einst als Teenager das erste Lächeln auf die Lippen zauberte. Kaushik bekennt sich erst spät bei einem Freund zu seiner Sehnsucht nach Hema. Auf seines Freundes Frage „Aber du denkst an jemanden. Sagt meine Frau. Du hast Sehnsucht“, antwortet er ehrlich vor ihm und vor sich selbst „Ab und zu.“ Für Hema ist es, als Kaushik ihr den Heiratsantrag macht, bereits zu spät. Sie ist nicht mehr bereit, ihr Leben zu ändern und geht die Ehe ein, die wie eine reine Vernunftehe erscheint. Sie spürt, dass sich Kaushik nie einer anderen Frau als seiner Mutter öffnen kann. Kurz bevor er ins Meer springt und den Tsunami als Drohkulisse ausnutzt, machen sein Freund Henrik und er eine Bootsfahrt. „Und für einen Moment sah Kaushik auch seine Mutter neben Henrik , sah ihren Körper noch voller Leben, eine kurze, nebelhafte Vision, die so mühelos verschwand wie die schillernden Fische, die ab und zu unter dem Boot herumhuschten.“ Im Tod schließt sich der Lebenszyklus von Werden und Vergehen, von Leben und Tod. Sie schließt mit den Worten „Es hätte Dein Kind sein können, aber das war es nicht. Wir waren achtsam gewesen, und Du hattest nichts zurückgelassen.“
Was will uns Jhumpa Lahiri, die selbst verheiratet ist und zwei Kinder hat, mit dieser traurigen Liebesgeschichte sagen? Es ist kein Zufall, dass die Autorin ihre Liebesgeschichte schrieb, als sie selbst schwanger war. Zur selben Zeit starben die Eltern ihres Mannes. Nicht nur die Entstehungsbedingungen des Erzählbandes weisen biographische Züge der Autorin auf. Auch Lahiri selbst ist die Tochter ostbengalischer Eltern. Inzwischen lebt und arbeitet die 1967 in London geborene Schriftstellerin in New York. Sie kennt die Schwierigkeiten der Einwanderer, in ihrer Heimat anzukommen. Ihre dunkle Hautfarbe leugnete ihre Herkunft nicht. Wie ihre Protagonistin Hema in „Einmal im Leben“ blieb sie bisher eine Fremde im eigenen Land. Diese Erfahrung prägt ihr schriftstellerisches Geschick und schenkt ihr den Stoff für Geschichten, die das Leben schreiben. Mit jedem ihrer Bücher beweist die Autorin einmal mehr, dass gute Literatur nicht schwierig sein muss. Mancher Kritiker behauptet von der Autorin, sie schaffe es, weder Humor noch Spannung in ihre Geschichten einzubauen. Tatsächlich ist „Einmal im Leben“ eine leicht zu lesende Liebesgeschichte. Diese Leichtigkeit, mit der Jhumpa Lahiri es schafft, ihren Figuren Leben einzuhauchen, ist es, was den Wert dieses Buches ausmacht. Insofern ist „Einmal im Leben“ eine Liebesgeschichte zwischen Hema und Kaushik, aber auch eine Liebesgeschichte Lahiris an ihre Leser.

Jhumpa Lahiri, Einmal im Leben; aus dem Englischen von Gertraude Krueger;
Alfred A. Knopf Canada
175 S., 16,90 Euro

Samstag, 7. März 2009

Theaterkritik an einem Stück meines ehemaligen Deutschlehrers

Die Suche nach dem Sinn 2007

"Die Beantwortung aller Fragen, die das Stück aufwirft, würde das wunderbare Rätsel zerstören,die das Leben, die Welt, Mensch und Gott nun einmal sind." Das ist die Antwort von Michael Huber, Deutsch-und Französischlehrer sowie Leiter der Theater-AG des Gymnasiums Neuenbürg, auf die Frage, welche Bedeutung einzelne Aspekte seines neuen Theaterprojekts haben. Der Titel passend dazu: "Synthesis". Am vergangenen Wochendende demonstrierte er bei drei Aufführungen im Kulturhaus Osterfeld in Pforzheim den Facettenreichtum des Lebens und die Vieldeutigkeit der menschlichen Seele.

Ein Theaterprojekt namens "Synthesis"

Die Schauspieler, die in Hubers Stück mitwirken, sind allesamt ehemalige Lehrer, Schüler des Gymnasiums, sowie Freunde und Gönner, die sich erstmals als Laienspielgruppe im Schloss getroffen haben. Den Verein Theater im Schloss, der auch als Veranstalter hinter diesem Stück steht, gründete Huber im März vergangenen Jahres. Zudem leitet Huber die Theater-AG des Gymnasiums Neuenbürg, dessen Schauspieler von Zeit zu Zeit auch mit den Mitgliedern seines Vereins mitwirken. Viele derjenigen Abiturienten, die inzwischen in Karlsruhe studieren, oder studiert haben, wie Miriam Kurrle, oder Kilian Ochs, sind Hubers Verein treu geblieben.
Allen, die das Gymnasium Neuenbürg einmal besucht haben, es besuchen, oder dort arbeiten, ist Hubers Werk als tiefenpsychologisches, oft verwirrendes, mediales Spektakel aus Videoprojektionen, Musik und Klangeffekten bekannt. Dieses Mal ist neben Theater- und Klavierspiel auch das Genre des Operngesangs vertreten. Miriam Kurrle, Musikstudentin aus Karlsruhe, überzeugt durch Gesang und Aussehen - sie besticht durch ihr in betörendes Rot gehaltenes Kleid. Im Zentrum von Hubers auf vier Ebenen, in 24 Bildern zerteiltes Stück steht die Auseinandersetzung zwischen Skrjabin (1871-1915) und Rossini (1792-1864), zweier in ihrer Musikauffassung sich unterscheidenden Künstler. Beide erliegen ihrer Schwäche für Frauen und Krankheiten, die ihre Körper zerfressen. Thematisch wird hier auch das Ziel der Entmaterialisierung auf der Suche nach der rein geistlichen Erkenntnis und dem Sinn des Lebens angesprochen.

Leidenschaftliche Begierde und die Suche nach "ihr"

In den verschiedenen Bildern wird offenbar, dass die Protagonisten Christoph und Adolf Sonderegger, dessen Kriegskamerad und Skrjabin auf der Suche nach der gleichen Sache sind: Die Suche nach der richtigen Partnerin, die den Gipfel aller körperlichen und sexuellen Begierde darstellt - verkörpert durch das Jungfraumassiv der Schweizer "Busenalp." Dabei fragt Skrjabin eine der fünf aus der Ausstellung "Geist und Kleid" bekannte Flügelwesen um Rat, welche eben dieses Urbild verkörpern. Rossinis Leidensweg wird auf seine Fressucht fokussiert. Bilder von üppigen Gerichten werden dazu auf die Leinwand projeziert.
Was Hubers Stück letztlich auch dieses Mal wieder auszeichnet, ist seine Multiperspektivität. In Anlehnung an "Synthesis 1" (1999), gestalteten Darsteller, Bühnenbildner, Textautoren und alle anderen Mitwirkenden zusammen mit Regisseur Huber ihren Prozess der Selbstfindung. Die verschiedenen philosophischen und theologischen Denkansätze sollen den Zuschauer dazu verleiten, diesen Weg getreu dem Brechtschen Epischen Theater mitzugehen und dadurch selbst die fünfte Ebene des Stückes zu gestalten. Der wichtigste Denkansatz ist dabei der des Theologen, Philosophen und Anthropologen Teilhard de Gardin (1881-1955). In seinem Denken verbinden sich evolutionäres und theologisches Denken. Dabei ist alles Leben eine von Gott bewirkte kreative Bewegung, die in dem letztendlichen Ziel mündet: der Liebe Gottes.
Hubers nächstes Projekt, Büchners "Woyczeck", wird erneut zusammen mit seiner Theater-AG des Gymnasiums am Ende des Schuljahres stattfinden.
- Diese Kritik erschien im damals noch existierenden "Enztäler-Wildbader Tagblatt" (heute nur in der Mantelversion des "Schwarzwälder Boten" existent).

Der Altenheim-Report

Der tägliche Marathonlauf

"Um 8.15 Uhr beginnt das Dementenfrühstück. Das heißt, Du musst Frau Schnell, Frau Jelke und Frau Keller in einer Stunde fertig gemacht haben. Du hast heute Gruppe B, das sind die, die gemäß Pflegestufe 2 mehr Arbeit machen. Um 8.30 Uhr verteilst Du das Frühstück und reichst drei Leuten das Essen. Bis zur Pause um 9 Uhr wäschst Du Herrn Muster und Herrn Paul*. Dann richtest Du die Pflegewagen und versorgst die Bettlägrigen - bis 12 Uhr. Dann gehst Du in den Speisesaal, um das Essen auszuteilen." - Der morgendliche Ablauf im Altenheim Sonnenschein* beginnt mit dieser Dienstanweisung.
Reden, füttern und wickeln in Zeitlupe. Alles kein Problem?! Schließlich schreibt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) genau vor, wieviel Zeit die Pflegeperson, egal ob ungelernter Praktikant oder mehrjährige examinierte Pflegekraft, zur "Grundversorgung" zur Verfügung haben darf. Die Ganzwaschung, die zum Zwecke besserer Durchblutung strengen Regeln folgt, darf 30 Minuten dauern. Trotz einer vorausgegangenen 56-Stundenwoche "kein Problem" für die Pflegekraft - zumal die bettlägrige Frau Keller an die 100 Kilogramm auf die Waage bringt und starke Druckstellen aufweist. So erfordert alleine die Lagerung zehn Minuten, den verzweifelten Versuch eingerechnet, die Schichtleitung auf dem hypermodernen Handy zu erreichen, das gerade mal wieder einen technischen Aussetzer hat. Dann gehen die Einmal-Waschlappen aus, die zur Entfernung von Kot und Urin verwendet werden müssen.
Diese Erfahrung machte eine junge Frau, wir nennen sie Vera, bei ihrem Praktikum in einem Altenheim in der Region. Vermutlich trägt sich das Folgende auch andernorts in zahllosen anderen Pflegeeinrichtungen in ähnlicher Form zu - Tag für Tag. Auch im Weiteren wurden sämtliche Namen von der Redaktion geändert.
Das Absichern der zu pflegenden Person durch Hochsetzen der Bettgitter erfordert noch einmal zwei Minuten, das Rennen zum Pflegewagen und Holen der Waschlappen ebenfalls. Nachdem alles am Platz ist und die zu Pflegende frisch gemacht, das heißt von Exkrementen gesäubert ist, sind immerhin schon grobe 15 Minuten vergangen - ohne dass Gesicht, Hände oder Beine, geschweige denn die Haare, gewaschen sind. Gerade das Letztere ist bei Bettlägrigen ein schwieriges Unterfangen. Schließlich muss die zu Pflegende quer übers Bett gelegt werden, um die Haare in der Waschschüssel, die auf dem Nachtisch steht, waschen zu können - mit dem Risiko, die Person könnte aus dem Bett fallen.

Marathonlauf oder behutsame Pflege?

Schon beginnt für die Pflegekraft der innere Konflikt: Erledige ich die "Angelegenheit" im Hau-Ruck-Verfahren, um die vorgegebene Zeit einzuhalten, oder gehe ich behutsam auf die Bedürfnisse der mir anvertrauten Person ein und riskiere fünf Extra-Minuten? Schließlich beschließt Praktikantin Vera, die erst einen Monat dabei ist, lieber langsam, aber behutsam vorzugehen. Nach 25 Minuten - Vera ist gerade beim Haare föhnen - schneit die Schichtleitung zur Tür herein. "Bist Du immer noch nicht fertig? Um Punkt 12 Uhr müssen die Leute essen und Du musst noch ganze zwei Pflegewagen richten!" Vera beeilt sich also und beschließt, auf die Mundpflege zu verzichten. Zwischen Pflegewagen und Mittagessen wird sie kurz ins Zimmer huschen und dies nachholen.
Gedacht, getan. Das Resultat: "Du hast gefährliche Pflege verübt. Kommt das nochmal vor, stehst Du unter Beobachtung. Schließlich hat unser Haus einen Ruf zu verlieren", so die Schichtleitung. Es folgen Schweißausbrüche in der Nacht und Alpträume. Vera wacht auf, rennt zum Kühlschrank - schließlich muss sie noch die Zwischenmahlzeiten richten, besser jetzt gleich, bevor noch irgendjemand von den Pflegekräften einfällt, sie müsse noch dieses und jenes Bett machen - und dadurch wieder nicht mit der Zeit hinkommt.

Wo bleibt die Zeit für individuelle Bedürfnisse?

Denn der Vorwurf lautet: Klare Zeitüberschreitung. 30 Minuten länger als vorgeschrieben sind einfach zuviel. Das Argument, man habe der anderen Praktikantin unter die Arme greifen wollen, zählt nicht.
"Sylvia muss das machen, was ich ihr aufgetragen habe. Du erledigst Deine Aufgabe in der vorgegebenen Zeit. Egal, ob Frau Ludwig wieder ihre ’fünf Minuten’ oder Probleme beim Aufstehen hat. Wir sind heute nur zu dritt und müssen bis 13 Uhr wie gewohnt fertig sein", so eine der examinierten Pflegekräfte. Ihr blasses Gesicht spricht Bände. Erschöpfung und Resignation sprechen aus ihm. Seit kurzem leidet sie unter Krebs - eine Folge von monatelangem Schichtdienst ohne Ausgleich, sagt sie - schließlich musste man ja fehlende Stunden ausgleichen, ohne zu wissen, wo diese bei zweiwöchentlichem Wochenenddienst herkommen sollen.
Während die fast ausgelernte Pflegeschülerin vor Motivation fast platzt, eine Person nach der anderen "macht" und sogar noch Zeit für ein kurzes Streicheln über die Wange hat, platzt es aus Sylvia heraus.
"Eben hat die Diakonie angerufen. Zehn Minuten nach meiner Schicht hier muss ich noch zwei Leute daheim betreuen. Manchmal könnte ich den Leuten den Kragen rumdrehen. Aber egal, wie sehr ein Bewohner nach Dir schlägt, so wie Frau Schnell, Du darfst Dich nicht wehren. Sonst stehst Du mit einem Bein im Gefängnis."

Ein nettes Wort zur rechten Zeit...

Während Frau Schnell also einen Problemfall darstellt, sehnt sich Frau Berber einfach nach ein wenig Aufmerksamkeit. Mit großen, traurigen Augen sieht sie Vera an. Die nimmt sich zwei Minuten, streicht ihr über den Arm und versucht, sie zu beruhigen. Ein bitterböser Blick verhindert jedoch, dass Vera sich Frau Berber näher zuwenden kann. Also rennt sie weiter in den zweiten Stock, während Frau Ludwig, die es sich mit einem Buch im Gang sitzend gemütlich gemacht hat, nur den Kopf schütteln kann. "Sie müssen immer rennen, das kann doch nicht gesund sein." Die gehbehinderte Frau Pauly hat Angst, Umstände zu machen. "Entschuldigung, dass ich Sie schon wieder rufe, aber ich muss auf die Toilette." Kein Problem, wenn man mal davon absieht, dass Vera noch drei Betten machen muss und für Frau Pauly jeden Tag nur zwei Toilettengänge in ihrer Akte abgezeichnet werden. Dies ist schon der dritte. Als Vera fertig ist, bittet die zweite Praktikantin sie, ihr bei der bettlägrigen Frau Keller zu helfen, das Bett zu überziehen. Als sie fertig sind, bittet eine examinierte Pflegekraft sie, Frau Ludwig das Essen zu reichen. Eine unruhige Handbewegung und die Bluse der Dame ähnelt mehr einer Landkarte aus püriertem Spinat, Kartoffelbrei und Hackfleisch, als dem Accessoire einer gepflegten Erscheinung. Als Vera Frau Ludwig deshalb umzieht, erschrickt sie von einem lauten Ruf: "Was soll denn das? Du solltest schon längst bei Frau Martin sein. Ich verstehe das nicht. Du bist schon so lange hier und wir haben Dir schon einnmal gezeigt, wie man Essen reicht. Lass es jetzt und geh weiter. Ich ziehe sie um."

Sorgfalt und Hygiene oder Zeitmanagement und unpersönliche Anrede?

Passend zu diesem erfolgreichen Tag bemerkt Vera Spuren von Kot auf der Bettdecke der bettlägrigen Frau Agnes. Weil sie zeitlich im Verzug und unsicher ist, ob die geringen Spuren schon das Wechseln des Bettlakens erforderlich machen, ruft sie eine examinierte Pflegefachkraft an. "Quatsch, lass mal. Wir haben keine Zeit, das soll die Nachmittagsschicht machen." Nach weiteren zwei Monaten, die ähnlich ablaufen, wirft Vera das Handtuch. Vielleicht ist es doch besser, sie engagiert sich ehrenamtlich in der Betreuung älterer Menschen. Ein nettes, zusätzliches Wort bringt sicherlich mehr als ein Löffel Brei mehr oder weniger. Der letzte Gedanke, der ihr durch den Kopf schwirrt, bevor sie sich gedanklich von einer hauptberuflichen Tätigkeit in der Altenpflege verabschiedet: "Kann man ein System, in dem Menschen ’gemacht’ werden, noch als menschenwürdig bezeichnen?"
- Dieser Text wurde bei ka-news veröffentlicht (heute zugehörig zum Südkurier). -
*Alle Namen von der Redaktion geändert

Lesung Martin Walser in Pforzheim 2008

Martin Walser in Pforzheim

Geliebt und umstritten:
Erfolgsautor Martin Walser


Ist Martin Walsers neues Werk "Ein liebender Mann" (Rowohlt Verlag) "geschickt komponiertes Wechselspiel der Gefühle" oder die Darstellung Goethes als Feminist? Von Feuilletonisten vielfach diskutiert, gingen die zahlreichen Gäste seiner Lesung im Rahmen des "Autorenforums" der "Pforzheimer Zeitung" im Stadttheater auch dieser Frage auf den Grund.

Goethe liebt Frauen auch heute noch

"Bis er sie sah, hatte sie ihn schon gesehen." Mit ironisierendem Blick schaut der am vergangenen Montagabend sonderlich zerbrechlich und müde wirkende Autor von Büchern wie "Ein fliehendes Pferd" oder "Angstblüte" in die Reihen des fast bis auf den letzten Platz gefüllten Pforzheimer Stadttheaters. Und spielt damit auf ein Leitmotiv des neuen Romans an, der sogar Erheiterung hervorruft: "Herr Walser, heißt es ’als’ oder ’bis’?", will Moderator Eckard Mickel wissen und Walser erzählt von seiner Tochter, "die alle Arten von Deutsch kann, auch Hochdeutsch". Und weil den Moderator diese Antwort nicht befriedigt und er das Blickmotiv gar zum "Energiezentrum" des Buches erklärt, fügt Walser auf saloppe Art hinzu: "Manche Sachen muss man so nehmen, wie sie sind. ’Bis er sie sah’ - das ist doch schon was."

Walsers neuer Roman ist die Geschichte des Johann Wolfgang von Goethe, der im Jahre 1823 im Marienbader Restaurant "Goldene Traube" residiert. Die Romanfigur Goethe haust Tür an Tür mit seiner späteren Geliebten Ulrike von Levetzow und deren Eltern, in einem "so kleinen Zimmer, dass ich mir das gar nicht vorstellen kann", wie der Autor verwundert hinzufügt. Unzählige Gedanken schießen dem 73-jährigen Goethe durch den Kopf: "Wenn er, 73, sie heiraten würde...", die Geliebte des Grafen Klebelsberg war schließlich auch 30 Jahre jünger als er selbst.

Dass der wahre Goethe wahrlich kein Kostverächter war, beweist die Reihe seiner Liebschaften, zu denen neben Ulrike Marianne von Willemer, Sylvie von Ziegesar, Bettina Brentano und nicht zuletzt seine Frau Christiane gehören. Doch ist die Konstellation - älterer Mann verliebt sich in jüngere Frau - ein beliebtes literarisches Motiv unter anderem bei Cervantes. Dass eine solche Liebe aber gerade in der Literatur meist tragisch-komisch endet, zeigt Goethes Liebste: Ulrike bleibt Goethe nur für die Kraft eines Augenblickes erhalten. Schon als sie sein schmuckes Geschenk ablehnt, offenbart sie sich dem Leser als für diese Zeit eigentlich untypisch selbstbewusste Frau.
"Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide", umschreibt Walser dementsprechend die Situation des alten Goethe und deutet dem Publikum eine Pistole an, die er sich an die Stirn hält. "Lotte hat Albert die Pistole gereicht, damit er sie Werther reicht." Walsers Goethe leidet ähnlich wie die Werther-Figur des realen Goethe, aber er tut es auf eine Weise, die dem Genie der deutschen Sprache nachträglich Hochachtung zollen lässt.
Goethe leidet. "Bis jetzt waren es immer die anderen, die gelitten haben", heißt es im Roman. Aber Walser schenkt seinem von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als "Literaturheiligen" betitelten Goethe sein neues Werk als Wiedergutmachung: In der Fiktion darf der gealterte Dichterfürst die Sehnsucht vieler älterer Männer wahr werden lassen und seine Liebesgeschichte mit Ulrike erleben.

"Alles, was Du ohne Brille siehst, steht Dir zu"

Zur Heirat kommt es aber nicht. Auch den stürmenden und drängenden Goethe holt das Alter ein. Er stürzt bei einem Kostümball, während eines Tanztees will ein Jüngerer Ulrike verführen. Nichtsdestotrotz macht der Hals über Kopf verliebte Goethe Ulrike einen Heiratsantrag, den diese jedoch erst erreicht, als sie sich bereits mit ihren Eltern auf der Weiterreise nach Karlsbad befindet. Walsers Goethe rechtfertigt seinen Misserfolg mit dem Brillen-Motiv, das Goethe selbst in seinen Romanen häufig verwendet. "Hättest du eine Brille getragen, hättest du die Familie erkannt, sie hätten zu dir kommen müssen, und das haben sie doch gar nicht gewollt", heißt es im Roman. Und der Autor ist froh, dass sein Held keine Brille getragen hat, "sonst wäre mein Roman anders ausgegangen". Gemäß dem Wilhelm aus Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahren": "Nichts darf man durch eine Brille sehen, alles, was Du ohne Brille siehst, steht Dir zu."
Eines ist klar: Walsers Roman ist, wie das Genre bereits verrät, keine authentische Schilderung des Johann Wolfgang von Goethe und seiner Liebeslust, wie wir es unzähligen Briefen und den Gesprächen des Dichterfürsten an seinen Vertrauten Eckermann entnehmen können. Walser entwirft von Goethe ein Bild entgegen jenem des Stürmers und Drängers, als der er zum Beispiel im "Götz von Berlichingen" erscheint.


Goethe stürmt im Roman zwar mit vollem Herzen vorwärts, in diesem Fall siegt jedoch der Verstand über die Begierde. Elke Heidenreich beschreibt es in der "FAZ" in Anlehnung an den Stil von Romanen wie Charlotte Roches "Feuchtgebiete" (ka-news berichtete) treffend: "Wenn sich die Seelen nicht küssen, befriedigt auch das Eierlecken nicht."


- Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier). -

DVD-Tipp "Der Klang des Herzens"

Der ka-news-DVD-Tipp: Der Klang des Herzens

Rührseliges Moviemärchen


In ihrem Premierenwerk "Disco Pigs" lässt Kirsten Sheridan noch die Sprache der Gewalt gewähren. Beim Anblick ihrer ersten, jetzt auf DVD erschienenen Hollywood-Produktion "Der Klang des Herzens" (Ufa Home Entertainment) wird der Wohnzimmersessel dagegen zur Kuscheloase. Auf der Besetzungsliste glänzt Robin Williams mit gewohnter Raffinesse und stimmlicher Variationsbreite. Doch die Hauptrolle ist anderweitig vergeben: an die Musik.
Es ist die Geschichte des jungen Ewan (Freddie Highmore) und seiner getrennten Familie, die allein Kraft der Musik wieder zueinander finden. Cellistin Lyla (Keri Russel) hat bei einem ihrer Konzerte den jungen Rockmusiker Louis Connelly (Jonathan Rys-Meyers) kennengelernt. Nach der ersten und einzigen gemeinsamen Nacht trennt Lylas Vater die Liebenden. Seine Tochter soll schließlich Karriere machen.
Doch kann dieser Grundkonflikt schon nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Melodram von Anfang an einem guten Ende entgegensteuert.
Wir sehen den im Waisenhaus lebenden Ewan, wie er unter Anweisung von Wizard (Williams), der obdachlose Kids fördert, Tasten wie Saiten anschlägt, wie er beim Klang der Musik zufrieden lächelt; und im Finale laufen wir mit dem süßen Rys-Meyers um die Wette, wenn er in den Konzertsaal stürmt, um das nie für möglich gehaltene letzte Konzert seiner großen Liebe zu verfolgen. Wizard fördert obdachlose Kids; und Ewan hat jede Menge Talent.
Die Musik will den Glauben an eine Welt ohne Sorgen und Kummer aufleben lassen. Mit einem 40 Stücke umfasenden Set aus Klassik, Rock und Gospel untermalt Sheridan die 114 Minuten. Bachs "Prelude From Partita No. 3", Mozart oder Beethovens "Für Elise" schaffen dabei eine angenehme und zugleich sehnsuchtsvolle Atmosphäre; in der Illusion, dass mit Musik alles im Leben so einfach vergeht und uns vom Streit zurück in den Schoß der Familie holt. Doch die Regisseurin übertreibt allgemein gerne. So ist die Idee, Musik als verbindendes, allheilendes Element einzusetzen, an sich eine gute. Dieser Utopie gegenüber steht uns allerdings eine Realität, die von Globalisierung, Shareholder Value und Studi-VZ geprägt ist.
In dieser Unwirklichkeit füllt Keri Russels alias Lyla - wenn sie sehnsuchtsvoll nach ihrem Sohn suchend in die Kamera blickt - die Zuschauerherzen mit Ergriffenheit. Und einer fühlbaren Ladung Kitsch. Auch diese Momente kaschieren nicht, dass es der Handlung an dramatischen Momenten fehlt. Der Vater ist ohnehin der einzige, der dem Glück seines ihm unbekannten Enkels im Weg stehen könnte. Doch schon allein, wenn Russel zur Filmmitte hin ihre Haare mit entschiedenem Blick nach hinten wirft, ist klar: Dieser Frau kann sowieso keiner was!
Eine verpasste Lebenschance der Eltern, erst nicht gelebte und dann aber erfüllte Liebe - es ist eben genau das Weihnachtsmärchen, als welches "Der Klang des Herzens" im Dezember vergangenen Jahres in die Kinos kam. Und kann man sich für derart fantastische Schicksalswendungen erwärmen, funktioniert "Der Klang des Herzens" erstaunlich gut. Vorausgesetzt man versteht die Sprache der Rührseligkeit. - Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier). -

Karlsruher Köpfe

Marie Polzer - "Die Mutter Karlsruhes"
Ich setz’ mich zur Ruh’ und schaff’ was", sagt Marie Polzer, gelernte kaufmännische Angestellte und Inhaberin der "Tasse mit Pfiff" in der Waldhornstraße 31. Ganz pragmatisch ist der nächste Satz, der das Leben der am 28. April 1946 Geborenen auf den Punkt bringt: "Warum soll ich in Rente gehen? Ich habe kein Geld, als dass ich dies sowohl im Urlaub, als auch innerhalb der Rente ausgeben könnte." Und so ist die "Mutter Karlsruhes" von 5.30 Uhr bis abends gegen 21 Uhr auf den Beinen, um in ihrer rund 20 Quadratmeter großen Einraumküche zu backen und zu kochen, bis die ersten Gäste eintrudeln. Dabei hat der Gast die Wahl zwischen drei ständig wechselnden Suppen, dazu eine Scheibe Brot und ein herzliches Gespräch. Keine Frage: Wer statt einem fetten Burger eine Suppe aus frischen Zutaten in der Mittagspause bevorzugt, der ist hier richtig aufgehoben.
Dabei kann die mütterliche, resolut wirkende Dame eigentlich gar nicht kochen, wie sie sagt: "Die Rezepte habe ich von Freunden und Verwandten gesammelt und sie nachgekocht. Einmal wollten ein paar junge Männer unbedingt Milchreis essen. Seitdem ist der auch im Programm", schmunzelt sie. Studenten, aber auch hungrige Geschäftsleute gehen ein und aus in ihren Räumlichkeiten, die dank der frühlingshaften Blumentapete zum Entspannen einladen.Über reichlich Umwege kam die ungeduldige - wie sie sich selbst beschreibt - Marie Polzer zu ihrer jetzigen Tätigkeit. Geboren in der Tschechoslowakei kam sie mit drei Monaten nach Karlsruhe, genauer gesagt: in den Stadtteil Grötzingen. Dort besuchte sie später den Kindergarten, danach folgten acht Jahre Volksschule. Nach ihrer Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten arbeitete sie erst einmal als Rechnungsprüferin in einer Autowerkstatt.
Nicht nur das, Polzer hat in ihrem nun schon 48 Jahre andauernden Berufsleben jede Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren, am Schopf gepackt. So hat sie eine Zeit lang zum Beispiel Versicherungen verkauft, weil sie aufgrund von Umstrukturierungen ihre vorherige Firma verlassen musste. "Man muss schließlich seine Feinde kennen", lacht die 62-Jährige und umschreibt damit die Tatsache, dass sie eigentlich nie ein Freund von Versicherungen war.
Karlsruhe war allerdings nicht der einzige Lebensmittelpunkt, den die "Mutter Karlsruhes" jemals ins Auge gefasst hatte. "Ich hatte eigentlich vor, meinen Lebensabend in Spanien zu verbringen", erzählt Marie Polzer und lächelt. "Hier habe ich die Mutter einer Freundin versorgt, in der Hoffnung, durch ihre Tochter Arbeit zu finden."Nach drei Monaten kehrte sie aber wieder zurück nach Karlsruhe, weil auch diese Arbeit sie nicht auf Dauer begeistern konnte. Ende der 90er Jahre wechselte sie deshalb wieder die Branche und lud die Menschen in ihrem neu eröffneten Heißmangelgeschäft zum "Bügeln-Lesen-Wohlfühlen" ein. Eine weitere Person trug dabei zur Erheiterung ihrer Kunden bei - und wieder huscht ein Lächeln über das Gesicht von Marie Polzer: "Wir hatten da einen alten Poeten, der in meinen Räumlichkeiten seine Gedichtbände ausstellen wollte. Sein Motto: mit Gedichten die Liebe wecken."
Die Liebe des Vermieters zu seiner Mieterin konnte er allerdings nicht beeinflussen. Nach zwei Jahren lief ihr Mietvertrag aus und sie musste aus dem Gebäude raus. Nun stand sie auf der Straße und war arbeitslos.
Weil Beziehungen aber das Wichtigste im Leben sind, vermittelte einer ihrer Kunden ihr die Räumlichkeiten in der Waldhornstraße. Eine Bekannte lieferte ihr passend dazu die Idee einer - nicht wohltätigen - Suppenküche. Den Gedanken ans Kochen und Backen hegt sie Tag und Nacht. Schon lange bleibt bei ihrem zeitintensiven Job keine Zeit mehr für andere Tätigkeiten. "Früher habe ich gerne getanzt oder war in der Sauna. Heute schlafe ich dabei allerdings ein." Um sich dennoch fit zu halten, fährt sie sonntags gerne mit ihrer Freundin Rad, während sie samstags noch mit dem Einkauf für ihre Suppenküche beschäftigt ist.
Marie Polzer ist eine Dame, in deren Gesellschaft sich nicht nur ihr 38-jähriger Sohn wohlfühlt. So hätte sie bei einem Urlaub in Österreich "die Dame dort am liebsten dabehalten". Hätte sie dies getan, "wäre mein Leben sicherlich anders verlaufen. Leider musste ich zu der Zeit bereits mit 21 an die Rente denken und konnte nicht einfach so meine gewohnte Umgebung verlassen."Trotzdem hat sie stets spontan Gelegenheiten ergriffen und "da angepackt, wo es nötig war". Diese Tatkräftigkeit wurde ihr allerdings nicht in die Wiege gelegt: "In der Schule war ich schüchtern und ruhig. Zu meiner Zeit bei der Tanzgarde ’Fidelio’ mit süßen 16 habe ich die Leute dann unterhalten können", lächelt Polzer und wird mit diesem Lächeln sicherlich noch viele Kunden aus Nah und Fern erfreuen können. Und natürlich mit ihren Suppen. - Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier).Die Originalversion war mit einem einheitlichen Fragebogen an den Porträtpartner ausgestattet. -

Karlsruher Köpfe

Oliver Bertz
"Ich scheuche die Leute rum, ohne dass ich ihnen zu nahe treten will", grinst der Exil-Schwabe Oliver Bertz alias Karl-Eugen-Läberle. Bertz ist Künstler, Entertainer und ein "Blödmann für alle Fälle", wie er sich auf seiner Homepage selbst bezeichnet. Auf kleinen und großen Feiern mimt er den lustigen Kellner, auf Messen macht er auf übergroßen Stelzen Werbung für die dort vertretenen Firmen. Und während viele "Künstler sich nicht selbst organisieren können", verschickt er sein Programm innerhalb von 20 Minuten an interessierte Firmen und Privatpersonen, denn: "Man kommt nur weiter, wenn man sich selbst organisieren kann."
Geboren wurde der sympathische Schwabe am 9. Juli 1957 in Göppingen. Hier absolvierte er auch die Grund- und Hauptschule. Danach wählte er zuerst einmal den bürgerlichen Weg ins Berufsleben und absolvierte eine Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten im Herzen Württembergs, in Stuttgart.
Bereits mit 14 Jahren hatte ihn die musikalische Leidenschaft erfasst: Er lernte Schlagzeug zu spielen.
Weil "der kaufmännische Job nicht das Richtige für mich war", spielte er schließlich in einigen Schüler und Profibands, aber keine Tanzmusik.
Weil aber auch er nicht ausschließlich von seiner künstlerischen Neigung leben konnte, arbeitete er nach und nach auch in Kneipen. Mit 29 Jahren packte ihn schließlich das Theaterfieber. Zusammen mit "einem Clown aus Heidelberg, einer Schauspielerin aus Mannheim und zwei Akrobaten aus Dänemark" entdeckte er schließlich einige seiner verborgenen Talente wie das Stelzen-Laufen und Jonglieren. Dies brachte ihm auch ein Engagement bei "La Boheme" am Badischen Staatstheater ein. Auch beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels und den Organisatoren des "Festes" ist er kein unbeschriebenes Blatt. "Sechs Wochen war ich im Regen unterwegs, übernachtet habe ich nur im Zelt, das war toll" , strahlt der 51-Jährige. Aber "Karl-Eugen-Läberle" ist nicht "nur ein Blödmann für alle Fälle", er nimmt Dinge gern selbst in die Hand - und lässt seiner Kreativität freien Lauf. Sein eigenes Kinder-Theaterstück trägt den Namen "König Dussel und die verlorenen Zähne", zusammen mit Freunden machte er dem "King of Rock ’n’Roll die Ehre". Mit seinem Abendprogramm wurde der Komiker in den späten 80er Jahren zu einem richtigen Geheimtipp und das, "obwohl der Comedy-Boom der 80er Jahre da schon vorbei war". Anfang/Mitte der 90er Jahre bestritt er zusammen mit anderen Künstlern fast alle Inszenierungen im Spiegelpalast Kandel und dem Kulturbahnhof Jockgrim.
Aber schon an den Übergängen zwischen den Nummern einzelner Solisten mit Bertz’ damaligem Kollegen,dem Clown Schorsch, deutete sich die Solokarriere des Künstlers an, der schließlich zu wenig Zeit für"zu zeitaufwändige und wenig qualitative Engagements" mit geringem Entgelt hatte."Meine Hauptsaison ist von September bis Dezember, wo ich auf Betriebsfesten und anderen vergleichbaren Veranstaltungen die Leute von ihrer Winterdepression zu heilen versuche", erzählt der gebürtige Schwabe, der mit seinen publikumsnahen Shows auch Hochzeitsfeiern den nötigen Glanz zu verleihen sucht. "Prinzipiell mögen die Badener schwäbischen Humor mehr als den ihrigen", grinst Bertz. Und das, obwohl die Schwaben "unzugänglich und stoffelig" sind und er seine jetztigen Landsleute sehr schätzt, weil "sie auch ihre Eigenheiten haben, aber trotzdem zugänglicher sind". Ob Schwabe oder Badener, der Künstler weiß, wie er den Leuten aus allen Erdkreisen ein Lächeln entlockt: "Comedy bedeutet, Menschen aus sich rauszulocken, sodass sich ihre Mundwinkel wieder nach oben biegen. Mit "Feuer unterm Hintern", das ihn antreibt, hat er dabei auch schon nicht nur seine Lebensgefährtin glücklich gemacht: "Als ich einmal eine depressive Frau aufheitern konnte, ging mir selbst das Herz dabei auf", lächelt Bertz und sein Blick wird sanft. Nicht nur für sein Publikum hat der in ganz Deutschland auftretende Künstler stets ein offenes Ohr, auch seinen Kollegen gegenüber ist er aufgeschlossen. So empfiehlt er sie unter anderem auf seiner Homepage auch gerne weiter. Als Einzelkämpfer sieht er sich auch gegenüber seinen Kunden nicht: "Ich kämpfe nicht, kann aber gut alleine arbeiten." Auch seinen Kunden gegenüber, die ihn für Veranstaltungen oder Messen engagieren, ist er offen. Von konstruktiver Kritik angespornt, ist der Künstler stets bemüht, sein Schaffen und Wirken zu verbessern.
Leicht macht er es seinem Publikum dennoch nicht: "Ich lenke es oft in eine andere Richtung als die, in die sie denken." So organisiert er sich beim Einrad-Fahren schon einmal fünf Männer aus dem Publikum, die unerwarterweise zu "nicht ganz Freiwilligen" werden. "Manchmal versuche ich aber auch, etwas aufzubauen, dessen Erwartungen dennoch nicht erfüllt werden", grinst er verschmitzt und schildert seinen "Striptease": "In der Erwartung, dass jetzt das letzte Kleidungsstück fällt, soll der Zuschauer in die Handlung miteinbezogen werden" - bis auch die letzte seiner neun Boxershorts nicht fällt. "Jeder Entertainer ist auch ein Exhibitonist", lacht Bertz. Und manche bleiben es ein Leben lang: "Ich kann mir gut vorstellen, dass ich noch ein Weilchen als Künstler mein Geld verdiene. Ich bin ein jugendlicher Typ, der diese Arbeit noch eine Weile ausüben kann" - sagt ein Künstler mit rund 20 Jahren Berufserfahrung, der jedes Mal eine komplette technische Ausstattung im Schlepptau hat - und beschreibt damit treffend sich selbst.
- Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier). -

Karlsruher Köpfe

Rudi Banghard:
"Mit viel Fantasie und Farbe sein Ding umsetzen" ist die Devise von Rudi Banghard, Karlsruher Ausnahmekünstler aus dem Karlsruher Ortsteil Neureut Kirchfeld. Und die Liste seiner kreativen Ausdrucksmöglichkeiten ist lang: angefangen von Werken der Bildhauerei aller Art über Illusionsmalerei, Dokumentar-und Zeichentrickfilme, Logos, Design,Fotografie, Gartengestaltung, Dekorationsbauten bis hin zur Musik, ein Hobby, dem er die nächsten 50 Jahre treu bleiben möchte. "Ich bin jetzt in der glücklichen Lage, pensioniert zu sein und zu tun, was mir Spaß macht - mit Freunden gemütlich in Kneipen sitzen und dem Klang meiner Gitarre nachspüren."

Allroundkünstler

Das Lieblingsthema des am 31. August 1948 in Flehingen auf die Welt gekommenen Künstlers ist "Raum und Zeit" - veranschaulicht an einer in einer Schraubzwinge gefangen gehaltenen, in Polyester eingegossene Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" (Titel: Der Zeitdruck). Diese ist eines der Prunkstücke seines weitläufigen Gartens, in dem jede Ecke an sein Dasein als Künstler erinnert. "Ich bin da und auch nicht. Mal halte ich mich im Keller, mal in meinem künstlerischen Reich im Garten auf.
Meine Frau hat oft nicht viel von mir", schmunzelt Banghard, der sich selbst als Einzelgänger beschreibt.
Mit einigen Künstlern hat er allerdings ein Problem.
"Kunst ist kein Ding der Überheblichkeit. Ich habe ein Problem mit Künstlern, die mir arrogant, überheblich und belehrend entgegen treten", kritisiert er den zunehmenden Hang einiger Künstler, sich selbst zu inszenieren. Er selbst wurde nach seiner Bewerbung an der Kunstakademie Karlsruhe in den 70er Jahren von dieser abgelehnt. Infolgedessen eignete er sich sein künstlerisches Können als Autodidakt an. 1972 folgte dann eine Festanstellung als Theatermaler und -plastiker am Badischen Staatstheater, dem er bis zum Jahre 1981 treu blieb. Im Folgejahr verschlug es ihn nach Basel, wo er wiederum als Theatermaler am dortigen Stadttheater bis 1986 tätig war. Leiter der Bildhauerei beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main wurde er ein Jahr später. 13 Jahre lang übte er diese Tätigkeit aus, bis er im Jahr 2000 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand ging.
Zu seinen interessantesten Werken gehören Büsten von Platon, Goethe sowie Kapitellen und Ornamenten in Fernsehstudio-Qualität. 1997 entwarf er für die Musiksendung des Hessischen Rundfunks "Der weiße Löwe" den Preispokal, der nach seinem Entwurf in weißem Porzellan gefertigt wurde. Gunther Emmerlich verlieh diesen Preis im Rahmen der oben genannten Sendung an die Sieger des volkstümlichen Talentwettbewerbs. Drei Jahre zuvor wurde das Modell seines vier Meter großen Grizzlybärs in der ARD-Show "Die Wunder der Erde" gerühmt. Die Besucher der Feier anlässlich des fünfzigsten Geburtstags der Städtepartnerschaft zwischen Karlsruhe und Nancy begeisterte er mit zwei Modellen aus Metall und Pappkarton, die Gegenstand einer Recycling-Modenschau waren. Zu seinen Kunden, die von seinen Masken profitieren, zählen unter anderem auch der Europapark Rust und und das Kindertheater "Papageno" in Frankfurt am Main.
"Die Erleuchtungserfahrung, die man innerhalb einer Zen-Meditation erfährt, lässt sich schwer beschreiben. Man erlebt eine Zeitverschiebung - nein, eine ganz andere Zeit", bringt der Künstler sein Lieblingsthema zur Sprache. So ist es in der einschlägigen Literatur nachzulesen. Das Beeindrukende am Zen ist im Hier und Jetzt zu leben, ohne an Vergangenheit und Zukunft zu denken", fasst Banghard die Gedanken des Zen, die er zu einem Teil seiner Lebensphilosophie gemacht hat, in Worte. "Das Beeindruckende am Zen ist im Hier und Jetzt zu leben, ohne zu denken."
Eben deshalb zählt das Kyudo zu einer Lebensweise, die der Ausnahmekünstler noch heute praktiziert.
Diese ist eine asiatische Form des Bogenschießens, welche die Anhänger der japanischen Budosportart gerne als "Auseinandersetzung mit sich selbst" beschreiben. Zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen Freund Hans Zabojnik-Ihla trieb er 1977 die Kyudo-Bewegung voran. Inzwischen werden in Karlsruhe 70 Mitglieder gezählt. Hinsichtlich seines Themas "Raum und Zeit" spielen die Erfahrungen, die er auf seinen Reisen in andere Kulturen machte, eine nicht unerhebliche Rolle. "Die Ichlosigkeit des Zen und das Zeitgefühl, das nicht nach einem mit der Uhr geregelten Tagesablauf zusammen hängt, ist bewundernswert. Gehört Eigenwerbung zum Dasein eines Künstlers dazu, muss man Banghards Ansicht nach gegenüber der Aussage des Werks zurück stecken. Auch wenn die Liste der kreativen Ausdrucksmöglichkeiten wie in seinem Fall schier unendlich erscheint.
- Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier). -